Gurlitt-Sammlung lenkt Blick auf vergessene Künstler

Solingen · Die Entdeckung der verschollen geglaubten Sammlung des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt wirbelte im November allerhand Staub auf. Nach der Aufregung um den Fund werden durch den Fall viele schmerzhafte Verluste deutlich: Viele einst verfemte Künstler sind heute vergessen.

So dürften die wenigsten Kunstinteressierten Bernhard Kretzschmar (1889-1972) kennen, einen in den 1920ern bekannten Dresdner Künstler. Bis sein Aquarell in der Gurlitt-Sammlung auftauchte.

"Die Nazis haben 20 000 Kunstwerke von rund 1600 Künstlern aus den Museen geholt", sagt Rolf Jessewitsch, der Direktor des Kunstmuseums Solingen. Das Museum mit 500 Werken der Sammlung Gerhard Schneider arbeitet seit Jahren an der Rehabilitierung der verfemten Künstler, deren Namen seit der Nazi-Diktatur in der Kunstgeschichte verblassten. "Das haben die Nazis verursacht, und es wirkt bis heute", sagt Jessewitsch. Kretzschmar, dessen Bilder 1937 von den Nazis als "entartet" aus Museen beschlagnahmt wurden, gehörte zu den verfemten Avantgarde-Künstlern wie seine heute berühmten Kollegen Dix, Kirchner oder Beckmann. Doch Kretzschmar ist zumindest in Westdeutschland heute ebenso wenig bekannt wie die Expressionisten Wilhelm Lachnit oder Christoph Voll, alle Angehörige der Dresdner Sezession. Ihre Bilder sammelte auch Hildebrand Gurlitt, der Vater von Cornelius Gurlitt. Hildebrand Gurlitts Cousin Wolfgang Gurlitt stellte die in den 1920ern bedeutendste deutsche Bildhauerin, Milly Steger (1881-1948), aus. In Friedenthals Kunstlexikon wurde sie neben Ernst Barlach genannt. "1936 wurde ihr Name aus dem Lexikon auf Anordnung der Nazis entfernt", sagte Jessewitsch. "Sie ist bis heute kein Begriff mehr. Sie ist unbekannt, wird nicht mehr ausgestellt."

Rehabilitiert wurden auf der Kasseler Documenta 1955 nur die Väter der Moderne, die Maler der "Brücke" oder des "Blauen Reiters". Die Entdeckung der Gurlitt-Sammlung macht für Jessewitsch schmerzliche Lücken in der Kunstgeschichte deutlich. "Man sieht, dass man jahrzehntelang etwas versäumt hat."

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