Grüne Reifeprüfung

Meinung · Die Grünen haben sich schwer damit getan, dem Atomausstieg zuzustimmen. Das klingt eigentlich absurd. Denn keine andere deutsche Partei hat in den letzten Jahrzehnten so leidenschaftlich und hartnäckig dafür gestritten. Das Problem ist die schwarz-gelbe Prägung der Atomnovelle, sagen viele Parteilinke. Ganz nach dem Motto, was vom politischen Erzfeind kommt, gehört klar abgelehnt

Die Grünen haben sich schwer damit getan, dem Atomausstieg zuzustimmen. Das klingt eigentlich absurd. Denn keine andere deutsche Partei hat in den letzten Jahrzehnten so leidenschaftlich und hartnäckig dafür gestritten. Das Problem ist die schwarz-gelbe Prägung der Atomnovelle, sagen viele Parteilinke. Ganz nach dem Motto, was vom politischen Erzfeind kommt, gehört klar abgelehnt. Dass es nicht so kam, ist für die Grünen ein Segen. Man stelle sich nur vor, Angel Merkel könnte das Abschalten aller Kraftwerke für sich allein reklamieren. Die grüne Geschichte wäre auf den Kopf gestellt.Das größte Pfund der Partei in der Atomfrage ist ihre Glaubwürdigkeit. Die Grünen waren schon vor der Tschernobyl-Katastrophe von der Unbeherrschbarkeit der Atomkraft überzeugt. Die amtierende Bundeskanzlerin hat noch Fokushima gebraucht, bevor sie grüne Pfade betrat.

Nun gehört es zu den Reflexen einer Opposition, auf das Gute immer noch vermeintlich Besseres draufzusatteln. Doch die Grünen sind keine klassische Oppositionspartei mehr. Schon gar nicht in der Atomfrage. Die Zäsur liegt hier schon über ein Jahrzehnt zurück, als der rot-grüne Atomausstieg verhandelt wurde. Schon damals hatten die Grünen ihre Unschuld gegenüber dem harten Kern der Anti-Atomkraft-Bewegung verloren. Diesen Leuten geht das Abschalten immer zu langsam. Und es ist ihnen natürlich auch jetzt nicht schnell genug, obwohl die Meiler bei Schwarz-Gelb eher und politisch verbindlicher ihr Leben aushauchen als nach dem vormaligen Fahrplan von Rot-Grün.

Durch ein "Nein" zum Merkelschen Ausstiegsszenario hätten sich die Grünen wieder mit den Öko-Fundamentalisten versöhnt. Aber dieser minimale Geländegewinn am linken Rand stünde in keinem Verhältnis zu den drohenden Verlusten in der gesellschaftlichen Mitte. Den meisten Grünen-Sympathisanten dürfte es egal sein, wann genau abgeschaltet wird. Wichtig ist ihnen, dass es unwiderruflich dazu kommt. Und dafür standen die Zeichen in Deutschland noch nie so günstig wie heute. Es gibt praktisch keine Atompartei mehr. Darüber müssten die Grünen jubeln.

Streckt dahinter auch ein kalkuliertes Koalitionsangebot der Union? Nein. Ohne Fokushima hätte Merkel nie und nimmer das Atomruder in ihren Reihen herumreißen können. Unter parteistrategischen Gesichtspunkten werden mit der japanischen Tragödie trotzdem schwarz-grüne Gräben zugeschüttet. Allerdings bleiben noch genügend andere übrig. Stichwort Bürger- und Ausländerrechte. Und auch bei der innerparteilichen Demokratie trennen beide Lager Welten: Eigentlich hätte die Union einen Sonderparteitag veranstalten müssen. Für sie ist der Atomausstieg ein politischer Kulturschock, nicht für die Grünen.

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