Grüne: Regierung trickst bei Langzeitarbeitslosen

Berlin · Die Grünen werfen der Bundesregierung vor, die Langzeitarbeitslosigkeit zu verharmlosen. Betroffene über 58 Jahre, die länger als ein Jahr ohne Job sind, fielen aus der Statistik heraus, kritisieren die Grünen.

Offiziell waren im Juli 1,04 Millionen Langzeitarbeitslose in Deutschland registriert. Doch in Wahrheit lag die Zahl bei mindestens 1,2 Millionen, wie aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hervorgeht. Ihre Arbeitsmarktexpertin, Brigitte Pothmer , spricht von "Schönfärberei in der Statistik".

Eigentlich wollte man sich ehrlicher machen. So sind bereits Ende 2007 einige vorruhestandsähnliche Regelungen ausgelaufen, die bislang dafür sorgten, dass ältere Erwerbslose nicht als arbeitslos gezählt wurden. Doch im Gegenzug kam es zu einer neuen Bestimmung im Sozialgesetzbuch. Demnach gelten Personen über 58 Jahre, die länger als ein Jahr ohne Job sind, nicht mehr als arbeitslos, wenn ihnen vom Jobcenter zwölf Monate lang kein Angebot für eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbreitet wurde. Laut Stellungnahme des Arbeitsministeriums, die unserer Zeitung vorliegt, fielen im Juli 165 500 Personen unter diese Regelung. Tatsächlich gab es in diesem Monat also knapp 16 Prozent mehr Langzeitarbeitslose , als offiziell in der Statistik ausgewiesen waren.

Zur Begründung dieser Praxis heißt es in der Stellungnahme: Bei diesen nicht mehr als arbeitslos erfassten Personen "kann angenommen werden, dass ihre Integrationsschancen eingeschränkt bleiben". Sie stünden damit "zwar nicht erklärtermaßen, aber faktisch der Arbeitsvermittlung nur begrenzt zur Verfügung".

Für Pothmer ist das unverständlich: "Das heißt doch, dass das Arbeitsministerium Langzeitarbeitslose über 58 als hoffnungslose Fälle abschreibt", sagte sie unserer Zeitung. Angesichts der schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre sei das eine "arbeitsmarktpolitische Kapitulation".

Entlastend für die Statistik zur Langzeitarbeitslosigkeit wirkt darüber hinaus die sogenannte "schädliche Unterbrechung". Das heißt, selbst wenn ein Langzeitarbeitsloser nur für einen Tag regulär beschäftigt war, beginnt die Zählung seiner Arbeitslosigkeit wieder von vorn. Über das Ausmaß dieses Effekts gibt es aber nur Schätzungen. So waren zum Beispiel im Jahr 2013 rund 22 Prozent aller Langzeitarbeitslosen, die einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt antraten, schon nach einem Monat wieder auf der Straße. Nach Berechnungen der Grünen bedeutet dieser Umstand bezogen auf das vergangene Jahr, dass weitere knapp 41 000 Personen bei der offiziellen Erfassung der Langzeitarbeitslosigkeit ebenfalls herausfielen.

Statt "geschönte Zahlen" zu verbreiten, müsse Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD ) für deutlich mehr Investitionen in die Qualifizierung der Langzeitarbeitslosen sorgen, forderte Pothmer. Zugleich verlangte sie die Einrichtung eines sozialen Arbeitsmarktes. Dies sei auch im Hinblick auf die notwendige Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen geboten. Denn nur so könnten soziale Konflikte und Neiddiskussionen vermieden werden.

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