Große Show für ein kleines Pferd Der Kulturkampf um ein Meisterwerk

Saarbrücken. Dieses Bild ist ein Unterpfand der Verbundenheit: 1912 widmete Franz Marc das "Blaue Pferdchen" dem Sohn seines Avantgarde-Mitstreiters August Macke. Es stand für den Aufbruch in ein neues, reines, "geistiges" Zeitalter, fernab des Materialismus

 Alles Blau: Das "Blaue Pferdchen" von Franz Marc in der Alten Sammlung. Foto: Becker & Bredel

Alles Blau: Das "Blaue Pferdchen" von Franz Marc in der Alten Sammlung. Foto: Becker & Bredel

Saarbrücken. Dieses Bild ist ein Unterpfand der Verbundenheit: 1912 widmete Franz Marc das "Blaue Pferdchen" dem Sohn seines Avantgarde-Mitstreiters August Macke. Es stand für den Aufbruch in ein neues, reines, "geistiges" Zeitalter, fernab des Materialismus. Franz Marc schenkte es dem zweijährigen "Waltherchen" im selben Jahr, als der Almanach des "Blauen Reiters" erschien. 1956 erwarb Rudolf Bornschein (1912-1988) das Bild für das Saarbrücker Stadt- und Heimatmuseum, das 1968 in die Moderne Galerie umzog. Heute gilt das Werk als Ikone, dient als Markenzeichen, Werbe-Motiv, Sympathieträger und Identifikations-Punkt für die Saarbrücker Sammlung. Zudem lässt es sich als Schlüssel- und Symbolbild für die Künstlergruppe "Blauer Reiter" lesen: Touristen kommen, um es zu sehen. Seit Februar 2011 vergeblich, denn der gesamte Bestand der Modernen Galerie wurde wegen des Museumserweiterungs-Baus weggepackt. Bis zur Eröffnung der Galerie der Gegenwart, die sich ob ungeklärter Finanzierung auf unabsehbare Zeit verschiebt. Eine unrühmliche Schließungsphase. Ausgerechnet dann hat der Star der Sammlung, das "Blaue Pferdchen" 100. Geburtstag.Was tun? Der Interims-Chef der Stiftung Kulturbesitz Meinrad Maria Grewenig rollt ihm flugs andernorts, in der Alten Sammlung am Saarbrücker Schlossplatz, den roten - nein, den blauen - Teppich aus. Welch eine geniale Idee, diesem Werk endlich mal eine Sonderpräsentation zu schenken - und den Menschen eine intime Begegnung.

Bei der Realisierung läuft Grewenig freilich zur Bestform seiner selbst auf, zimmert aus einer kleinen, sehr feinen Sache was vermeintlich Pompöses. Das bekommt der Unternehmung diesmal nicht. Der Spielort wird nach dem Ausstellungsmuster des Völklinger Weltkulturerbes als eine Art Schatztruhe für Preziosen in Szene gesetzt, die erklärenden Wand-Texte bis zur Nichtssagenheit eingedampft. Und es gilt: So viel Blau war nie. Alle Wände im oberen Seitenflügel der Alten Sammlung wiederholen den durchdringenden Farbton des ponyartigen, stämmigen Pferdekörpers auf Marcs Bild. In diesem Ozean schwimmen dann recht verloren exakt fünf (!) Exponate. Außer dem "Blauen Pferdchen" Marcs "Zwei Schafe" (1912), Heinrich Campendonks "Springendes Pferd" (1912), August Mackes "Sturm" (1911) sowie eine Röntgenaufnahme des "Blauen Pferdchens" von 2003. Damals bestätigte sich der Verdacht der hiesigen Restauratorin: Unter dem Pferdchen liegt eine Hügel-Landschaft. Was bedeutet: Marc übermalte Marc. Keine Sensation, das tat er öfter, vermutlich aus (Leinwand-)Spargründen. Allerdings versäumte es das Museum vor acht Jahren, diese Erkenntnisse publikumswirksam vorzustellen. Aufregend wären sie deshalb heute noch, doch die aktuelle Präsentation holt das nur halbherzig nach.

Ebenso lässlich wird die kulturhistorisch und regionalgeschichtlich spannende Zusatz-Geschichte behandelt, die sich mit dem Ankauf verbindet. Bornscheins Erwerb löste einen Meinungskrieg zwischen Modernen und Traditionalisten aus, in den sich sogar Künstler-Autoritäten wie Hans Purrmann einmischten. Bornschein wurde darob zur Legende. Ohne seine strategische, qualitätssichere Sammelpolitik gäbe es im Saarland wohl keine nennenswerten Bestände. 2148 Erwerbungen fallen in seine Direktoren-Zeit (1951-1978). Wenig mehr erfährt man am Schlossplatz dazu. Grewenig begründet dies damit, dass er dem "Blauen Pferdchen" einen "solitären" Auftritt verschaffen wollte. Mag sein. Doch belastet den Rundgang der Eindruck zu vieler Versäumnisse: Warum sieht man so wenige Bilder, wenn es in der Sammlung weitere aus dem "Blaue-Reiter"-Umfeld gibt? War das ein Schnellschuss? Zu wenig wissenschaftlicher Ehrgeiz? Kaum. Bereits Grewenigs Vorgänger Ralph Melcher plante eine Bornschein-Schau. Vorarbeiten dazu soll es geben, auf die man hätte zurückgreifen können.

"100 Jahre - Das Blaue Pferdchen" ist bis 2. Dezember in der Alten Sammlung am Schlossplatz. Geöffnet: Di bis So von 10bis 19 Uhr, Mi von 10 bis 20 Uhr.

Saarbrücken. Zwischen 1954 und 1957 erwarb Rudolf Bornschein 400 Werke, darunter das "Blaue Pferdchen". Damals war der Expressionismus bereits kunstgeschichtlich etabliert, als Epoche machende Stilrichtung. Doch auf Grund des nationalsozialistischen Verbots ("Entartete Kunst") war sie vielen Menschen fremd. Sie fühlten sich provoziert. Beispielhaft lässt sich das am "Kulturkampf" ablesen, der im Saarland Bornscheins Ankaufpolitik umtobte. Empörung löste der angeblich zu hohe Preis für das "Pferdchen" aus: 48 000 Mark. Der Vorwurf: Steuergeldverschendung. Vor allem die Nationalliberalen schürten den Widerstand. Die Debatte verstummte erst, als sich Bundespräsident Theodor Heuss 1957 lobend vor Bornschein stellte. 1971 war das "Pferdchen" 250 000 Mark wert, in den 1980ern rund drei Millionen Mark, heute könnte es ein Vielfaches sein. ce

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