Griechen im Exil oder: Odysseus, hilf

Saarbrücken · Immigranten-Schicksale in Deutschland, das klingt nach bleischwerem Polit-Drama. Das Stück „Telemachos“ des Regie-Duos Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris zeigt, wie pfiffig und humorvoll man das Thema angehen kann. Am Mittwoch hatte es Festival-Premiere.

 Doku-Soap-Szene aus „Telemachos“ in der Osthalle. Foto: Oliver Dietze

Doku-Soap-Szene aus „Telemachos“ in der Osthalle. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Mutti sagt hü, Papa hott. Das ist gegen Ende der Aufführung, und Prodromos ist zurück am Start seines eigenen Stückes, in dem er sich selbst spielt wie auch Odysseus' Sohn Telemach. Sein Vater bittet: Bleib bei uns, in Deutschland, wo du geboren bist. Die Mutter, obwohl erfolgreiche Geschäftsfrau, hat 35 Jahre "die Fremde ertragen" und drängt den Sohn zum Auswandern. Bleiben oder gehen?, diese Frage verhandelt "Telemachos. Should I stay or should I go" (2013). Das Stück folgt dabei dem Muster des vom Theaterkollektiv "Rimini-Protokoll" entwickelten Dokumentartheaters. Wir treffen "Experten", keine Schauspieler, auf der Bühne: fünf nach Deutschland immigrierte Griechen verschiedener Generationen und einen deutschen Besserwessi. Alle erzählen ihr Leben mit eigenen Worten. Formale Überraschungen ließen sich also kaum erwarten. Freilich erweisen sich Tsinikoris/Azas als erfindungsreiche Schüler vom "Rimini-Protokoll". Ihnen gelingt eine vielschichtige Komposition, vor allem aber eins: die Ironie-Unterfütterung des Stoffes. Nur einmal, bei der Befragung des Orakels, rutscht das Stück dadurch ins Satire-Flachwasser.

Ansonsten: Prodromos rezitiert Passagen aus Homers "Odyssee", Kirk Douglas taucht im historischen Film-Schmachtfetzen "Die Fahrten des Odysseus" (1954) auf und private Familien-Videos werden eingespielt . Auf der Bühne herrscht eine Doku-Soap-Atmosphäre, in der sich die Protagonisten um einen Küchentisch kuscheln, während Christos im Eintopf rührt. Der Mix aus Intimität und Exhibitionismus, er funktioniert auch in der Osthalle am Römerkastell, die Zuschauer reagierten begeistert. Sie hörten viel Anrührendes, etwa von der Junta-vertriebenen Chryssi oder von Kostis. Dem war sein kreditsüchtiger Vater "peinlich", bis er in ihm das frühe Opfer eines kriminellen Bankensystems erkannte. Ein ironisches Augenzwinkern begleitet hingegen die Auftritte von Schlitzohr Christos, der als Wirt in der Berliner Sperlingsgasse Millionen verdiente und verzockte, und sich dann in die AOK einschwindelte, um eine Herz-OP bezahlen zu können. Und Knut wirkt wie eine Karikatur des politisch korrekten Überdeutschen. Er verbietet den Griechen "wie die Bildzeitung" über ihre trägen Landsleute zu sprechen und durchgrübelt die Finanzkrise mit Horkheimer und Adorno. Ergebnis: "Odysseus war der erste aufgeklärte Europäer". Der nahm sein Leben selbst in die Hand. Die Risiko-Versicherung damals: Opfer an die Götter. Und heute? Trotz der Sparopfer gibt es für Griechenland keine verlässliche Rettungs-Perspektive. Für den Einzelnen sowieso nicht. Das lehrt uns dieser Abend, der mit Menschlichkeit besticht.

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