Glücklichsein als gutes Vorbild

Cannes. In den zwölf Tagen eines Filmfestivals prasseln die Eindrücke auf einen ein, rangeln in Gedanken miteinander, überlagern sich. Dabei kann manch ein Film schnell wieder verblassen und von stärkeren Impressionen verdrängt werden. Vor allem bei einem Wettbewerbsbeitrag war das anders. Auch nach Tagen fanden die Gedanken immer wieder zu Michael Hanekes "amour" zurück

Cannes. In den zwölf Tagen eines Filmfestivals prasseln die Eindrücke auf einen ein, rangeln in Gedanken miteinander, überlagern sich. Dabei kann manch ein Film schnell wieder verblassen und von stärkeren Impressionen verdrängt werden. Vor allem bei einem Wettbewerbsbeitrag war das anders. Auch nach Tagen fanden die Gedanken immer wieder zu Michael Hanekes "amour" zurück. Das Kammerspiel über das Ende einer lebenslangen Liebe mit Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant als Ehepaar wirkte nach - und hat nun tatsächlich die Goldene Palme gewonnen. Nach "Das weiße Band" vor drei Jahren gehört der Österreicher nun zu den acht Regisseuren, die zwei Mal mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurden. Es war aber nicht nur eine Palme für Haneke, sondern auch eine für die Leistungen von Trintignant (81) und Riva (85), die dem Regisseur unter lauten Begeisterungsrufen auf die Bühne folgten. Trintignant, der eigentlich vor zehn Jahren seine Filmkarriere beendet hatte, zitierte ein Gedicht von Jacques Prévert: "Man muss versuchen, glücklich zu sein, sei es auch nur, um ein gutes Beispiel zu geben." Die Momente mit den beiden Altstars waren die bewegendsten des Abends.So zwingend die Goldene Palme für Haneke schien, so rätselhaft wirkte manch andere Entscheidung der Jury unter Vorsitz des italienischen Regisseurs Nanni Moretti. Der waghalsige Filmwahnsinn von Leos Carax' "Holy Motors" blieb völlig unbeachtet, wie auch die hinreißend verspielte Pfadfinderliebesgeschichte "Moonrise Kingdom" von Wes Anderson. Stattdessen erhielt "Gomorrah"-Regisseur Matteo Garrone für seine laue Mediensatire "Reality", in der sich ein Fischverkäufer im wahnhaften Traum vom Einzug ins Big-Brother-Haus verliert, den Großen Preis der Jury. Ken Loach erhielt "The angels' share" schon seinen dritten Preis der Jury. Ob die vielleicht froh war, nach vielen düsteren Stoffen endlich mal was zu Lachen zu haben? Denn es handelte sich um einen schlichten Film, der sein soziales Anliegen in harmlosen Feelgood-Optimismus verpackte.

Der Mexikaner Carlos Reygadas konnte den Regiepreis für sein unzugängliches Familiendrama "Post renebras lux" entgegen nehmen. Der Rumäne Cristian Mungiu hat nach seiner Goldenen Palme für den Abtreibungsfilm "4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage" diesmal für das atmosphärische Klosterdrama "Beyond the hills" nicht nur den Preis für das beste Drehbuch bekommen. Auch seine Schauspielerinnen durften sich den Darstellerinnenpreis teilen. Mads Mikkelsen wurde als bester Darsteller im packenden, dänischen Drama "Jagten" ausgezeichnet.

2012 war der Cannes-Wettbewerb vor allem Männersache: mit auffällig vielen starken Männerrollen und, was vorab stark kritisiert wurde, ausnahmslos in der Hand männlicher Filmemacher. Dabei bot er zwar große Namen, aber längst nicht so viele große Filme. Doch Cannes liebt seine Autorenfilmer, und die Autorenfilmer lieben Cannes. Wer erstmal in den Wettbewerbs-Kreis aufgenommen wurde, der wird in der Regel wieder und wieder eingeladen. Das bringt zwar in schöner Regelmäßigkeit starke Jahrgänge hervor. Es kann aber auch zu Unbeweglichkeit führen. ret

Foto: dpa

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