"Gipfel ist nicht Höhepunkt"

Joseph Vilsmaiers "Nanga Parbat" zeigt, wie Sie 1970 diesen 8000er überschritten haben und auf dem Rückweg ihren Bruder und fast ihr eigenes Leben verloren haben. Wie konnten Sie danach überhaupt weiter machen?Messner: Natürlich haben meine Eltern, Freunde, Brüder mich gedrängt, es zu lassen

Joseph Vilsmaiers "Nanga Parbat" zeigt, wie Sie 1970 diesen 8000er überschritten haben und auf dem Rückweg ihren Bruder und fast ihr eigenes Leben verloren haben. Wie konnten Sie danach überhaupt weiter machen?

Messner: Natürlich haben meine Eltern, Freunde, Brüder mich gedrängt, es zu lassen. Ich hatte ja auch drei Fingerkuppen und sieben Zehen teilweise oder ganz verloren und konnte nicht mehr so gut klettern wie vorher. Nach diesem Nanga Parbat habe ich mich auf der Uni angemeldet und bin die ersten Schritte zurück in die Zivilisation gegangen. Im Januar 1971 habe ich mich aber abgemeldet und die Uni nie wieder betreten. Ich hatte mich entschieden, das jetzt erst recht und richtig zu machen.

Warum?

Messner: Ich habe einfach nach ein paar Monaten erkannt, dass ich an der Geschichte nichts ändern kann, wenn ich in der Zukunft ein braver Ingenieur oder ein guter Architekt werde. Mit der Geschichte habe ich zu leben, und so wird sie jetzt auch im Film erzählt. Ohne moralische Beurteilung. Mir war aber auch klar, dass ich nicht mehr so gut klettern kann und nie mehr die gleiche Befriedigung durch das Klettern bekommen würde. Dadurch bin ich zum Höhenbergsteiger geworden. Ich wurde genau dort erfolgreich, wo es meinen Bruder getroffen hat und wo ich beinahe umgekommen wäre, und habe das Höhenbergsteigen neu erfunden. Damals gab es nicht diese Möglichkeit wie heute, einen Achttausender im Gänsemarsch zu besteigen und die ersten Erfahrungen zu machen. Wir waren alle damals vorm Nanga Parbat noch nie auf einem Achttausender gestanden. Wir waren damals alles Neulinge. Heute werden die meisten Achttausender-Besteigungen begleitet von 50 Scherpas, die ein paarmal den Everest, Cho Oyu und den K2 bestiegen haben. Das heißt, die haben in der Summe auf einen riesigen Erfahrungsschatz zurückgreifen können. Wir waren Neulinge in diesem Feld.

Wie denken Sie heute über Ihre Nanga Parbat-Besteigung?

Messner: Wir hatten sehr viel Erfahrung als Bergsteiger, ich und mein Bruder haben aber einen Fehler gemacht, knapp unter dem Gipfel, weiter zu gehen. Heute würde ich sagen, ich hätte das nicht tun sollen. Aber wir sind weiter gegangen, das ist eine Tatsache, und ich lebe mit ihr. Es nutzt gar nichts, im Nachhinein zu sagen, wir hätten dies oder jenes tun sollen.

Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie aus den Ereignissen mitgenommen haben?

Messner: Ich habe gelernt, dass das Leben begrenzt ist. Ich habe mich entschlossen, meine Sache zu machen und nicht das, was sich andere Leute für mein Leben vorgestellt haben. Und immer dann, wenn ich ein Thema in meinem Leben bis an meine persönliche Grenze des Möglichen ausgereizt hatte, habe ich mich anderen Herausforderungen gestellt. Nachdem ich Achttausender bestiegen hatte - den Everest sogar alleine - , habe ich mich entschlossen, auch das zu lassen. Es wurde langweilig, weil ich es zu sehr im Griff hatte, und ich habe dann wieder etwas Neues angefangen. In diesem Jahr bringe ich meine sechste Phase zum Abschluss. Mein Leben mit dem Museum. Meine Helfer sind dann so weit, dass sie es selber weiter machen können, und ich fange etwas Neues an.

Einen großen Teil Ihres Leben haben Sie damit verbracht, sich lebensgefährlichen Bedingungen zu stellen. Steckte je eine Todessehnsucht dahinter?

Messner: Das hat mit Todessehnsucht nichts zu tun. Die beste Umschreibung kommt von Gottfried Benn, den ich gerne immer wieder zitiere. Bergsteigen ist ein "am Tode provoziertes Leben". Es ist also keine Todes-, sondern eine Lebenssehnsucht. Deswegen war diese Erfahrung am Nanga Parbat das Schlüsselerlebnis meines Lebens. Mein Bruder ist gestorben, ich fast. Im Grunde ist es Außenstehenden nicht klar zu machen. Wir gehen dort hin, wo wir umkommen müssten, um eben nicht umzukommen. Wir brauchen diese Erfahrung, um Leben zu können.

Die Psychologie spricht davon, dass das natürliche Sicherheitsbedürfnis nur in unsicheren Situationen befriedigt wird.

Messner: Das ist richtig. Der Mensch braucht Gefahrenmomente, um Selbstmächtigkeit zu bekommen. Um sicher zu sein, dass er es schafft. Ich hatte im Leben nie diese üblichen Lebensängste. Was tue ich mit 65? Ich hatte mit 40 noch keine Rente einbezahlt. Mit 40 habe ich mir dann doch gesagt, dass ich diesen Humbug nun wohl doch überlebe und mich kümmern muss. Ich habe aber keine Versicherungen abgeschlossen, keine Aktien gekauft, sondern einen Bauernhof. Wenn ich Selbstversorger bin, kann ich mich selber ernähren bis zum Lebensende. Und ich werde allen meinen Kindern als Erbe einen Bauernhof vererben.

In welchen Momenten Ihrer Aktionen, Unternehmungen und Grenzgänge empfinden Sie das größte Glücksgefühl?

Messner: Immer dann, wenn ich auf dem Sprung bin zur Perfektion. Kurz davor. Der Gipfel ist nicht der Höhepunkt. Der Höhepunkt liegt darin, dass die Idee real wird. Glück ist ein Prozess und kein Zustand. Eine Klettertour ist nichts anderes als eine Idee. Ich sehe eine Wand und stelle mir vor, wie ich sie klettern könnte. Glück ist das, was zwischen der Idee und der Umsetzung passiert. Wenn es umgesetzt ist, dann wird es banal und langweilig.

Kritik zu "Nanga Pabat" (ab Do im Cinestar, Sb und Camera Zwo, Sb) morgen im treffregion

AUF EINEN BLICK

Sieben weitere Filme starten in den Kinos, drei davon im Saarbrücker Filmhaus. "Emma & Marie" heißt das Regiedebüt von Sophie Laloy, ein Psychothriller um eine zerstörerische Liebe zwischen zwei jungen Frauen. Ein Vertreter des jungen argentinischen Kinos ist Pablo Trapero, der mit "Löwenkäfig" die Geschichte einer jungen, schwangeren Frau erzählt, die nach einer rätselhaften Bluttat im Gefängnis landet. Und in "Süt" von Semih Kaplanoglu geht es um einen jungen Mann aus Anatolien, der nach vielen Schicksalsschläge seinen Weg im Leben finden muss. Erfreuliches kommt auch vom deutschen Kino: Mit "Friendship" hat der junge Regisseur Markus Goller in Hollywood ein schönes Kumpel-Roadmovie gedreht (Cinestar). Und das Kino Achteinhalb zeigt ab Freitag Helga Reidemeisters bewegende Dokumentation "Mein Herz sieht die Welt schwarz". tr

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