Getrennte Leben

Saarbrücken · In den 50ern schickte Nordkorea über 300 Männer zum Studium in die DDR. Als sie Jahre später zurückbeordert wurden, mussten sie Ehefrauen und Kinder zurück lassen. Davon erzählt die Dokumentation „Verliebt, verlobt, verloren“ der Regisseurin und Saarbrücker Professorin Sung-Hyung Cho.

 Was wie ein Schnappschuss aus dem Urlaub wirkt, ist ein tragisches Motiv: Renate Hong sieht nach Jahrzehnten der erzwungenen Trennung ihren Mann (und Vater ihrer beiden Kinder) in Nordkorea wieder. Sie hatte nie wieder geheiratet. Fotos: Kundschafter Filmproduktion

Was wie ein Schnappschuss aus dem Urlaub wirkt, ist ein tragisches Motiv: Renate Hong sieht nach Jahrzehnten der erzwungenen Trennung ihren Mann (und Vater ihrer beiden Kinder) in Nordkorea wieder. Sie hatte nie wieder geheiratet. Fotos: Kundschafter Filmproduktion

Wenn die große Liebe unter die Räder der Weltpolitik kommt, bleibt nicht viel übrig - oder doch? Der Film "Verliebt, verlobt, verloren" von Sung-Hyung Cho befasst sich mit einer traurigen, weithin unbekannten Historie: Während des Koreakriegs schickt Nordkorea über 300 Männer in die DDR, damit sie dort studieren. Romanzen erblühen, nordkoreanisch-ostdeutsche Ehen werden geschlossen, Kinder geboren - bis Nordkorea ihre Studenten Anfang der 60er zurückbeordert - allein. Die sozialistische Bruderliebe zwischen beiden Ländern ist merklich abgekühlt. Zurück bleiben Frauen und Kinder, die lebenslang unter dem Verlust leiden.

Davon erzählt die Dokumentation von Sung-Hyung Cho, die mit Leidtragenden gesprochen hat, mit Ehefrauen , die sich nie haben scheiden lassen, mit Kindern, die ihre Väter nie kennen gelernt haben. Es ist ein Film über tiefe Bindungen, Ohnmacht gegenüber totalitären Systemen und darüber, wie man Verlust bewältigt. Pathos vermeidet die Regisseurin, die "auf keinen Fall ein Rührstück" drehen wollte. Dazu lässt sie Schlager alter Zeiten ertönen und illustriert einige Gespräche mit pastellfarbenen Animationen voller Retro-Charme. "Denn die Geschichte ist schmerzlich genug, das musste ich nicht noch betonen."

Cho stammt aus Südkorea, wo diese Geschichte lange Jahre so gut wie unbekannt war. "Aber 2006 wurde sie dort zur Sensation", erzählt Cho; ein südkoreanischer Historiker hatte in Jena über die Beziehungen zwischen Nordkorea und der DDR geforscht und dabei zufällig Renate Hong kennen gelernt, eine der späteren Hauptfiguren in Chos Film: Sie hat zwei Kinder mit ihrem Mann, den sie erst Jahrzehnte später wiedersehen konnte. "In Südkorea ist Renate fast schon berühmt, weil sie ihren Namen Hong behalten hat und nie wieder geheiratet hat. So eine unerschütterliche Liebe kennt man ja nur von ‚Romeo und Julia' oder alten Sagen."

Als Cho die Geschichte hörte, begann sie sofort mit Recherchen und Vorbereitungen ihres Films, seit 2009 geht sie regelmäßig zu den Treffen der betroffenen Familien; aber die Finanzierung war äußerst schwierig. "Der MDR hatte überraschenderweise kein Interesse an dieser DDR-Geschichte", sagt Cho, "und der Hessische Rundfunk war interessiert, falls ich auch in Nordkorea drehen würde" - und stieg aus, als sich abzeichnete, dass Cho selbst dort keine Aufnahmen würde machen dürfen.

Schon die Annäherung an Nordkorea gestaltete sich schwierig. Um für erste Gespräche über den Film dorthin zu reisen, musste die Südkoreanerin deutsche Staatsbürgerin werden. Zugleich legte das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Steine in den Weg: Nach einer Bitte um Unterstützung beim Auswärtigen Amt und beim DRK schickte Letzteres eine Mail an alle Beteiligten, auch an die Mütter , und behauptete, der Film schädige die Beziehungen zu Nordkorea, sagt Cho.

Drohung per Mail

Die Mütter und Kinder sollten beim Film nicht mitmachen, hieß es da, sonst gefährdeten sie das Leben ihrer Väter. "Das habe ich als Drohung empfunden", sagt die Regisseurin, "und auch das Auswärtige Amt war befremdet". Cho fürchtete, der Film sei gestorben - "aber gerade die Mütter und die Kinder wollten ihn unbedingt". Über die Gründe des DRK und eines "windigen Beraters" der Nordkoreanischen Botschaft will Cho nicht spekulieren. "Aber wenn man mit Nordkorea zu tun hat, begegnet man vielen seltsamen Menschen."

Nordkorea selbst war am Film keinesfalls interessiert, auch wenn die Regierung ein Familientreffen von Leidtragenden in Pjöngjang tatsächlich genehmigt hatte. Denn propagandistisch ausschlachten, etwa als Geste eines scheinbar mitfühlenden Staatsapparats, ließ sich das nicht. "In Korea hat die Vaterfigur eine zentrale Bedeutung", erklärt sie, "und als Vater seine Familie zu verlassen, gilt gesellschaftlich als unverzeihlich - selbst wenn das unter Zwang geschah". Dementsprechend lehnte Nordkorea den Dreh ab und ließ Cho bei der Reise nicht mitfahren. Das wiederum zwang die Regisseurin zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie besorgte einer der mitreisenden Frauen eine Kamera, "eine kleine, bunt angemalte, wie ein Foto-Apparat für Kinder" - also möglichst unverdächtig. Mit diesen Bildern endet der Film, Aufnahmen eines Familientreffens, das fröhlich und traurig zugleich wirkt: Endlich sieht man sich wieder - aber wie viele Jahre hat man sein Leben getrennt voneinander gelebt? Renate Hong jedenfalls hat ihren Mann erst einmal nicht wieder erkannt.

"Verliebt, verlobt, verloren" läuft zurzeit im Saarbrücker Filmhaus. Am Montag stellt Sung-Hyung Cho ihren Film dort vor (ab 20 Uhr). Kritik in unserer Beilage treff.region.

 Sung-HyungCho

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Zur PersonSung-Hyung Cho, 1966 in Südkorea geboren, studierte ab 1990 Kunstgeschichte, Medien und Philosophie in Marburg. Ihre Doku "Full Metal Village" über das Festival in Wacken, gewann 2007 den Max Ophüls Preis. Es folgten die Dokus "Endstation der Sehnsüchte" (2009), "11 Freundinnen" (2011) und "Heimisch in Hessen" (2013). Cho ist seit 2011 an der Hochschule der Bildenden Künste Saar Professorin im Bereich Künstlerischer Film und Bewegtbild. tok

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