Genossen in Therapie

Für die Führung der SPD, allen voran Sigmar Gabriel, ist dieser Leipziger Parteitag eine Gratwanderung. Einerseits trägt sie die Hauptverantwortung für die Wahlniederlage vom 22.

September. Andererseits darf die Selbstkasteiung nicht so weit gehen, dass die Regierungsoption mit der ungeliebten Union verschüttet wird.

In seiner Rede vor den 600 Parteitagsdelegierten in Leipzig hat Gabriel diese Herausforderung angenommen. Das war kein Luftikus, der sich da präsentierte, sondern ein ernster Obergenosse, der den Seinen schwere Kost servierte. Davon zeugt auch das nicht eben berauschende Ergebnis bei der Wiederwahl. Kurzgefasst lautete Gabriels Analyse so: Die wirtschaftliche Kompetenz der SPD ist lau, und in ihrer Paradedisziplin, der Sozialpolitik, ist sie kaum noch glaubhaft. Der Befund deckt sich nicht nur mit Meinungsumfragen in der Bevölkerung. Die SPD-Basis tickt genauso. Schon die letzte große Koalition zwischen 2005 und 2009 hat sie als Verrat an den sozialdemokratischen Überzeugungen empfunden. Jetzt ist ihre Befürchtung groß, dass sich dies in einer schwarz-roten Neuauflage wiederholt. Das hat viel mit dem unbewältigten Erbe der Agenda 2010 zu tun. Aber auch mit den großspurigen Tönen im Wahlkampf, einen "Politikwechsel" herbeizuführen, der allerdings bei realistischer Betrachtung weder von der Bevölkerung gewollt, noch mit der Union zu machen ist. In dieser Situation hat die SPD zwei Möglichkeiten: als Juniorpartner der Union kleinere Brötchen zu backen, oder in die Opposition zu gehen. Dass sich die Partei dort profilieren könnte, ist eine Mär. Denn so links wie die Linke, die dort schon sitzt, kann sie nicht mehr werden. Es wäre ein aussichtsloser Wettlauf. Zumal der verbissene Kampf für mehr Umverteilung, sprich Steuererhöhungen, auch keine Erfolgsrezept ist, wie sich bei der Bundestagswahl gezeigt hat. So ist es an Gabriel, die Partei ideologisch abzurüsten. In Leipzig hat er damit argumentiert, dass bestimmte Veränderungen am Ende doch allemal besser seien als überhaupt keine. Und wer trotzdem glaubt, die Chefetage der SPD schiele nur nach Kabinettsposten - der wird auf das ungewöhnlich großzügige Mitsprache- und Entscheidungsrecht der Basis verwiesen. Über einen Koalitionsvertrag hat noch keine Partei ihre Mitglieder abstimmen lassen. Gerade das ist Gabriels Trumpf im Spiel.

Sicher, man kann diesen quälenden Entscheidungsprozess beklagen. Sollten die SPD-Mitglieder für eine Regierung mit der Union votieren, wären die Koalitionsverhandlungen aber nicht nur ein Mittel erfolgreicher Selbsttherapie gewesen. Schwarz-Rot hätte dann auch eine besondere Legitimation. Geht das Votum schief, bricht in der SPD das Chaos aus. Und Gabriel hätte sein Blatt überreizt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort