Gekonnter Kitsch unter dem Vollmond

Saarbrücken. In der Kälte der Nacht schlüpft die Zigeunerin Buba zum 16-jährigen Pavel. Sie küsst ihn, nimmt seine Hand und führt sie zu ihrem Geschlecht. "Ich fühlte, wie Buba wärmer und wärmer wurde, verspürte die Gluthitze aufsteigen, roch ihren Schweiß, ihren Duft nach Feuer, Erde, Rauch und die herbe Süße ihrer Scham", heißt es

Saarbrücken. In der Kälte der Nacht schlüpft die Zigeunerin Buba zum 16-jährigen Pavel. Sie küsst ihn, nimmt seine Hand und führt sie zu ihrem Geschlecht. "Ich fühlte, wie Buba wärmer und wärmer wurde, verspürte die Gluthitze aufsteigen, roch ihren Schweiß, ihren Duft nach Feuer, Erde, Rauch und die herbe Süße ihrer Scham", heißt es. Das ist Kitsch - aber zugleich der Garantieerfolg dieses Romans. Die verführerische Roma und ein rumänischer Junge. Das begeistert in Amerika, England, Frankreich, Spanien, Italien, den Niederlanden, Polen und Israel. Dorthin wurde der Roman noch vor seinem Erscheinen in Deutschland in Lizenz verkauft.

Geschrieben hat ihn ein Debütant, der 1957 geborene Rolf Bauerdick aus Westfalen, der als Fotograf für "Stern" und "Geo" arbeitet und den seine Reportagen in rund 60 Länder führten. Hauptsächlich Rumänien zieht ihn magisch an und die Roma dort, unter denen er zeitweise lebte. Er hat auch ihre Geschichten übernommen, Bilder von außerordentlicher Fantasie, eine Mischung aus Krimi, Schelmenstück und Melodram. Dazu gehört eben auch der Kitsch. Wenn lustvoll und mit Humor erzählt wird, und das kann Bauerdick, darf es auch mal schwülstig werden. Der Autor beschreibt die Lust am Leben von Menschen, die nicht viel Grund zur Freude haben, weil sie am Rand der Gesellschaft vegetieren. Und sich dennoch Lust holen.

Unwahrscheinliches geschieht 1957 in Siebenbürgen am Rand der Karpaten. Im sowjetischen Sputnik rast Hündin Laika um die Erde, der Sozialismus kommt voran, aber nicht im ärmlichen 250-Einwohner-Dorf Baia Luna. Pavels Vater betreibt den einzigen Laden des Dorfes, der auch als Kneipe dient. In der Schule bittet die Lehrerin den aufgeweckten Jungen, den Parteisekretär zu ermorden, dessen Foto er gerade an die Wand im Klassenzimmer genagelt hat. Der Mann war einst ihr Liebhaber, doch als sie von ihm schwanger wurde, ließ er ihr das Kind aus dem Bauch schneiden. Der Parteibonze stürzt, die Lehrerin verschwindet in einer Winternacht und wird später tot aufgefunden. Das alles geschieht unterm Mond, der in diesem Roman eine große Kulisse ist. Dem alten Dorfpfarrer, der die Gemeinde dazu brachte, den Roma Bleiberecht zu gewähren, hat jemand die Kehle durchgeschnitten, aus der Kapelle auf dem Mondberg wird die Madonna geraubt. Das alles ist mysteriös - und klärt sich erst drei Jahrzehnte später, als Pavel auf einmal sein Leben begreift.

Es ist der Blick in einer bunte, fremde Welt, der fasziniert. Es ist die Sprachkraft des Autors, die überzeugt. Es ist die schiere Lust am Erzählen unter Weglassen jeglicher Reflexion, die diesen Roman vorantreibt. "Das Böse ist stärker als wir", sagt der Zigeuner Dimitru. Das ist auch das Resümee des Romans, der trotz dick aufgetragener Passagen und Klischees beeindruckt.

Rolf Bauerdick: Wie die Madonna auf den Mond kam. DVA, 519 Seiten, 22,95 Euro.

Dieses und weitere Bücher versandkostenfrei unter www.saarbruecker-zeitung.de/

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