Gefangen im eigenen Seelenraum

Saarbrücken. In Frankreich wurde Goethes Faust ab 1827 durch die Übersetzung von Gérard de Nerval bekannt und eigenständig gelesen und verstanden. Doktor Johannes Faust war da schon lange zur Symbolfigur, der "Fauststoff" Allgemeingut geworden

Saarbrücken. In Frankreich wurde Goethes Faust ab 1827 durch die Übersetzung von Gérard de Nerval bekannt und eigenständig gelesen und verstanden. Doktor Johannes Faust war da schon lange zur Symbolfigur, der "Fauststoff" Allgemeingut geworden. Hector Berlioz' Adaptation des Faust zeigt schon im Titel "La damnation de Faust - Die Verdammnis des Faust", dass es hier nicht unbedingt um Goethe (denn da wird Faust erlöst), sondern um Berlioz geht. Goethes Faust ist der freie, ambivalente Renaissancemensch, der sich nach Erkenntnis strebend der Unvollkommenheit des Menschen entgegenstellt und dabei weder Erfüllung findet noch wirklich sucht. "Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, so sei es gleich um mich getan!" Berlioz' Faust ist einsam, ein Melancholiker des 19.Jahrhunderts, den "spleen" und "ennui" plagen, - der Himmel ein tiefer Deckel, die Erde ein feuchter Kerker. Schon in den ersten Szenen der légende dramatique fällt der Rückzug des Antihelden in gepflegten Weltschmerz auf, der "echte Faust" ist angriffslustiger.

Frank Hilbrich, der für das Staatstheater inszeniert, fand die gleiche Sinnentleertheit, das Gefühl von Unverbundenheit und Vereinsamung in Berlioz' Autobiografie. Berlioz machte aus Nabelschau Kunst, rückte die Eigenwahrnehmung ins Zentrum seines Schaffens. Hilbrich liefert, auch wenn er ihn im Faust deutlich sieht, kein Berlioz-Psychogramm, er interpretiert und aktualisiert einen Wiedergänger zeitlosen Verdrusses.

Die "riesige Sinfonie für einen Tenor und zwei weitere Solisten" (der vierte Solist singt nur ein Lied von einer Ratte) stellt den erfahrenen Theatermann vor große Herausforderungen. Beim Wort genommen, ist das Stück nicht aufführbar, allein zwei in die Hölle galoppierende Rappen sind auf der Bühne kaum denkbar. Berlioz hat keine Anweisungen und Pausen eingefügt, "eben sind wir noch in der Studierstube, und sieben Takte weiter bereits mitten im Gebrüll der Studenten in Auerbachs Keller", so Hilbrich. Die Komposition ist übergangslos, "mehr geistiges als reales Theater", eine "Studie über den Fluch der Vereinsamung", der mit einem Teufelspakt endet, nicht beginnt. Selten gebe es im 19. Jahrhundert "so wenig Patina wegzupusten", um ein Stück heute lebendig werden zu lassen. Faust schließt sich in den eigenen Seelenraum ein, dort findet er, wie es scheint, keinen Ausweg. Von Blutströmen ist bei Berlioz die Rede, und Frank Hilbrich nimmt sie ernst. Faust geht seinem Untergang entgegen und reißt Unbeteiligte mit. Eine brisante und aktuelle Thematik.ask

Premiere: Morgen um 19.30 Uhr im Saarbrücker Staatstheater; weitere Vorstellungen: 19. und 27. Dezember, 18., 20., 22. und 30. Januar.

Foto: Karger

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