Gedämpfte Freude über einen „Klassetyp“

Berlin · In neun von 16 Bundesländern regieren die Grünen inzwischen mit. So gesehen mutete es schon merkwürdig an, dass der Nachwuchs aus der Provinz überhaupt keine Anstalten machte, um sich auch für bundespolitische Weihen zu empfehlen.

Robert Habeck hat dieses Verhaltensmuster nun durchbrochen. Der schleswig-holsteinische Super-Minister für Energie, Landwirtschaft und Umwelt will bei der nächsten Bundestagswahl als Spitzenkandidat für seine Partei antreten. Das verkündete der 47-jährige, verheirate Vater von vier Kindern am Dienstag in einem Brief an die Mitglieder seines Landesverbandes.

Auf der Berliner Bühne hält sich die Begeisterung darüber in Grenzen. Zum einen, weil sich grüne Bundesspitzen ungern von ihren Landespolitikern reinreden lassen. Und zum anderen, weil nun eine Personaldebatte droht, die viele für schädlich halten. Bis zur Wahl seien noch zweieinhalb Jahre Zeit, hieß es in ersten Reaktionen. Zunächst einmal müsse man sich programmatisch aufstellen, gaben andere zu bedenken. Noch am letzten Wochenende hatte Grünen-Chef Cem Özdemir in die gleiche Kerbe gehauen: "Noch ist nicht der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen, wer uns in die Wahl führen sollte". Da deutete sich Habecks öffentliche Bekanntmachung bereits an. Erst als sie Gewissheit war, beteuerte Özdemir, Habeck sei ein "Klassetyp", der den Grünen "in jeder Position" gut tue.

Zumindest in einem Punkt herrscht damit frühzeitig Klarheit: Es wird eine Neuauflage der Urwahl geben, die die Grünen vor drei Jahren eher aus Verlegenheit in Szene setzte, weil sich ihre Führung nicht auf einen gemeinsamen Personalvorschlag für die Spitzenkandidaturen zur Bundestagswahl 2013 einigen konnte. Nach grüner Lesart müssen das zwei Personen sein, um dem Geschlechterproporz zu genügen - und am besten auch gleich noch der Strömungs-Arithmetik. 2012 setzten sich bei der Mitgliederbefragung Jürgen Trittin vom linken Flügel und Katrin Göring-Eckardt von den Realos durch. Obwohl keiner wirklich so recht weiß, wofür die Fraktionschefin aus Thüringen inhaltlich eigentlich steht, gilt sie derzeit für eine erneute Spitzenkandidatur als gesetzt. Auch Parteichefin Simone Peter ist keine Konkurrenz. Jedenfalls hat sie niemand auf der Rechnung. Trittin wiederum zog sich nach dem schwachen Wahlergebnis seiner Partei auf die politische Hinterbank zurück, was Özdemir die Perspektive der Spitzenkandidatur eröffnet. 2012 hatte er zugunsten Trittins darauf verzichtet. Allerdings könnte auch Co-Fraktionschef Anton Hofreiter Interesse anmelden. Und mit Robert Habeck würde aus dem Duell sogar ein Dreikampf werden.

Die notorische Farblosigkeit der grünen Führungsriege in Berlin ist dabei sicher ein gewichtiges Pfund für den Kandidaten aus dem Norden. Hinzu kommt, dass sich Habeck in der ideologischen Gesäßgeografie seiner Partei ungern verorten lässt. Aus Flügelstreitigkeiten hält er sich heraus. Und er ist undogmatisch. Beim letzten Landtagswahlkampf schielte Habeck auch in Richtung CDU , bildete dann aber mit der SPD eine Regierung in Kiel. Grüne Eigenständigkeit hat für Habeck Priorität. Wenn das die Roten in einer Regierungsehe garantieren, bitte schön. Wenn es die Schwarzen täten, wär's auch recht. So ist Habeck sicher flügel-übergreifend wählbar.

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