Gaucks Deutschland

Das war gestern Klartext aus dem Schloss Bellevue. Wer Joachim Gauck jetzt immer noch vorwirft, er sei nur der Grußonkel der Nation, der über vieles eine gewisse pastorale Schwermut kleistere, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.



Am Ende einer Woche, in der bekannt geworden ist, dass Deutschland bei Zuwanderern so beliebt ist wie kaum ein anderes Land und in der die christlichen Parteien das Thema des Sozialmissbrauchs fast schäbig für ihren Europawahlkampf instrumentalisiert haben, setzt der Bundespräsident seinen eigenen Akzent. Er hat zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Botschaften gefunden.

Noch immer hat sich die Notwendigkeit der Zuwanderung nicht bei jedem herumgesprochen. Deutschland braucht aber mehr denn je Neubürger aus anderen Ländern, nicht zuletzt aus ökonomischer Sicht. Sie müssen hier willkommen sein - und dieses Gefühl muss ihnen auch vermittelt werden, damit der Trend nicht abbricht. Kulturelle Vielfalt und Buntheit in der Bevölkerung werden deshalb noch stärker als gegenwärtig zu einer neuen, deutschen Normalität werden. Dazu ist ein klarer Wechsel in den Denkmustern notwendig, den Gauck mit seiner Rede angezeigt hat. Sie war ein Fingerzeig für jene Politiker, die von Zuwanderern vor allem Anpassung verlangen und die Integration für gescheitert halten. Falsch. Es gibt auch Integration ohne totale Assimilation.

Aber Gauck hat noch mehr gesagt - und das war besonders lobenswert. Der Präsident ist ein Wagnis eingegangen: Er hat auch die "Gutmenschen" in der Gesellschaft dazu aufgefordert, endlich einmal einen selbstkritischen, damit also differenzierteren und klareren Blick auf Zuwanderung zu werfen. Das wird für Ärger sorgen, war aber dringend erforderlich. Niemandem ist geholfen, wenn man die eigenen kulturellen Werte und Traditionen zugunsten einer falsch verstandenen Solidarität gegenüber Zuwanderern über Bord wirft. Nicht die Gleichberechtigung der Frau, auch nicht das Weihnachtsfest. Warum auch? Probleme dürfen nicht verschwiegen oder ignoriert werden. Schon gar nicht dort, wo sie bereits konkret auftreten. Die Beispiele hat Gauck genannt - Gettoisierung in vielen Großstädten, Homophobie unter Einwanderern, die Sozialhilfekarrieren, die es in der zweiten und dritten Generation bereits gibt. Das alles gehört auch zur deutschen Normalität, mit der politisch und gesellschaftlich umgegangen werden muss. Wer dies anspricht, ist nicht rechts. Sondern Realist.

Die Worte des Präsidenten erinnern hier an das, was der Neuköllner SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky schon lange propagiert, und was ihn bundesweit berühmt gemacht hat. Das hat Buschkowsky viel Feind', aber auch viel Ehr' gebracht. Gauck dürfte es ähnlich ergehen.

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