Gabriel ändert Kohle-Kurs

Berlin · Als Umweltminister erfand Sigmar Gabriel mit der Kanzlerin ein ehrgeiziges Klimaschutzziel. Nun muss er als Wirtschaftsminister dafür schwierige Kompromisse machen – zum Ärger der Stromkonzerne.

Da Deutschland beim Klimaschutz als selbst ernannter Vorreiter derzeit eher hinkt, musste sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ) etwas einfallen lassen. Seit Tagen griffen ihn Linke und Grüne an. Der SPD-Chef machte den Eindruck, als wolle er zum Schutz tausender Jobs in deutschen Kohlekraftwerken das Klimaschutzziel von 40 Prozent weniger an Treibhausgasemissionen bis 2020 - im Vergleich zu 1990 - aufgeben. 2007 hatte er es als Umweltminister mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) festgelegt.

Nun ruft Gabriel eine sanfte Kohle-Wende aus, aber keinen Einstieg in einen Ausstieg. Für gestern Nachmittag zitierte er die Spitzen der führenden Stromversorger nach Berlin und erläuterte den Plan, der bis Mitte 2015 Gesetz werden soll. Deren Reaktion? Zurückhaltend ist wohl noch zu positiv formuliert. Nach der Stilllegung von acht Atomkraftwerken 2011 soll zum Wohle des Klimas nun vor allem bei Kohlekraftwerken gedrosselt werden.

"Wir müssen bis 2020 zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO{-2} im Kraftwerkspark einsparen", lautet Gabriels Vorgabe. Das hört sich viel an. Aber die 500 deutschen Kraftwerke emittierten laut Ministerium zuletzt für die Produktion von Wärme und Strom 341 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO{-2}) im Jahr. Ab 2016 sollen jährlich 4,4 Millionen Tonnen eingespart werden, so dass das Emissionsbudget bis 2020 auf 319 Millionen Tonnen sinkt.

So will Gabriel auch seine Parteifreundin, Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD ), vor einer Blamage bewahren. Am 3. Dezember entscheidet das Kabinett über ihr Paket, mit dem die Lücke beim Klimaschutz geschlossen werden soll.

Um das 40-Prozent-Ziel zu schaffen, braucht sie 62 bis 100 Millionen Tonnen zusätzliche Einsparung, dafür werden geplante Gutscheine für Sprit-Spar-Trainings beim Kauf eines Neuwagens nicht reichen. Nach anfänglichem Zögern springt Gabriel ihr nun bei. Er will aber keine zwangsweisen Abschaltungen, sondern die Betreiber können die Minderungen gleichmäßig auf ihre Kraftwerke verteilen, auf einzelne Anlagen konzentrieren und zwischen Anlagen übertragen. Überschreiten Betreiber ihr CO{-2}-Konto, drohen Strafzahlungen. Die Kunst wird sein, diesen regulatorischen Eingriff so in ein Gesetz zu gießen, dass keine Schadenersatzklagen drohen.

Gabriel will so die Strompreise im Zaum halten, die auch wegen der Braun- und Steinkohleverstromung bezahlbar bleiben sollen. Ihm geht es auch um den Erhalt von Jobs bei taumelnden Versorgern wie RWE, der stark von der Braunkohle abhängig ist. Er will die SPD mit einem wirtschaftsfreundlichen Kurs in die Mitte rücken, statt die Grünen links zu überholen. Deren Chef Cem Özdemir ätzt, Gabriel müsse sich entscheiden, "ob er sich als Pressesprecher bei der Kohle bewirbt oder seiner Verantwortung als ehemaliger Umweltminister gerecht werden möchte". Und Bärbel Höhn , Umweltexpertin der Grünen, ist sicher: "Auf jeden Fall" werde die Maßnahme nicht dazu führen, dass die deutschen Klimaziele eingehalten werden.

Meinung:

Sanfte Wende

Von SZ-RedakteurVolker Meyer zu Tittingdorf

Sigmar Gabriel agiert geschickt. Der Wirtschaftsminister zwingt die Stromkonzerne zu einem Beitrag zum Klimaschutz und tut ihnen doch nicht wirklich weh. Das Gesetz bedroht wohl kaum Arbeitsplätze in den Kohlekraftwerken. Gabriels Wende im Kohle-Kurs ist so sanft, dass sie kaum zu spüren ist. 4,4 Millionen Tonnen CO{-2}-Einsparung pro Jahr - das sind nur 1,3 Prozent der Menge, die deutsche Kraftwerke 2013 in die Luft geblasen haben. Wer wirklich Klimaschutz will, muss anderswo ansetzen: den Emissionshandel reformieren, so dass der CO{-2}-Ausstoß EU-weit teuer wird, und mit Anreizen und Vorgaben darauf drängen, dass nicht mehr so viel Heizenergie verschwendet wird.

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