Leitartikel Unbegreifliches Verhalten beim EU-Grenzschutz

Es war natürlich kein Zufall, dass der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex seine Vorhersagen über die illegalen Grenzübertritte genau an dem Tag in Brüssel vorstellte, als die Vertreter der Mitgliedstaaten über den Ausbau der Behörde stritten.

Frontex: Unbegreifliches Verhalten der Mitgliedstaaten beim EU-Grenzschutz
Foto: SZ/Robby Lorenz

Tatsächlich ist das Verhalten einiger Regierungen – darunter auch der deutschen – unbegreiflich. Immer wieder wurde nach einer europäischen Regelung gerufen und dabei vor allem eine Stärkung der Frontex-Agentur gefordert. Als diese dann auf dem Tisch lag, bröckelte die Front. Selbst der deutsche Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte beim Dezember-Treffen mit seinen Amtskollegen plötzlich bis 2025 warten, ehe die europäische Spezialisten-Truppe zur Verfügung stehen sollte. Das kann man auch Wählertäuschung nennen.

Dabei ist die Grundidee völlig richtig: Wenn die Grenzschützer eines Mitgliedslandes von einer wachsenden Zuwandererzahl überfordert sind, soll Frontex zur Unterstützung anrücken. Nicht nur mit technischer Ausrüstung, sondern auch mit Fachleuten für europäisches Asylrecht und Abschiebung. Denn die EU-Kommission hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie zwar einerseits eine faire Lastenteilung der Mitgliedstaaten fordert, um die Asylberechtigten angemessen integrieren zu können. Gleichzeitig sollten aber die illegalen Migranten konsequent abgeschoben werden. Auch dabei könnte Frontex behilflich sein.

Doch nicht einmal davon ließen sich die Innenminister der Mitgliedstaaten locken. Dabei haben sie zu Hause fast alle die gleichen Probleme, Menschen, die keinen Anspruch auf Asyl haben, wieder zurückzuführen. Allerdings gehört zur vollen Wahrheit eben auch, dass die EU-Kommission zumindest in diesem Punkt Augenwischerei betrieben hat: Denn die Gründe, die einer Abschiebung aus Deutschland entgegenstehen, machen natürlich auch eine Rück­führung durch EU-Beamte unmöglich. Schließlich gelten die entsprechenden internationalen Abkommen für alle – und nicht nur für einzelne Mitgliedstaaten.

Unterm Strich macht diese Mischung aus mangelnder Bereitschaft und unausgegorenen Vorschlägen ein zentrales Kapitel des EU-Grenzschutzes derzeit zunichte. Anstatt die Außengrenzen an jeder Stelle effizient zu schützen und lediglich Asylberechtigte in die Europäische Union zu lassen, passiert wenig. Dass die Sicherheitsbehörden einiger Mitgliedstaaten in Randlage wie vor Wochen in Kroatien die Nerven verlieren und völlig unangemessen scharf gegen Hilfesuchende vorgehen, darf niemanden wundern. Die Gemeinschaft braucht Regeln. Die bisherigen wurden faktisch außer Kraft gesetzt. Und auf neue kann man sich nicht verständigen. Da ist das Chaos fast schon unausweichlich.

Dabei hoffen ja alle auf eine schnelle Einigung noch vor den Europawahlen im Mai. Denn nichts wäre wichtiger, als den Bürgern zu zeigen, dass man sich endlich auch in der Frage eines sicheren Grenzschutzes zusammengefunden hat.

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