Freihandelsabkommen mit USA liegt auf Eis

Brüssel · EU-Handelskommissar Karel de Gucht sieht beim geplanten Freihandelsabkommen mit den USA noch größere Mängel. Deshalb hat er gestern überraschend die Verhandlungen bis auf Weiteres unterbrochen.

. EU-Handelskommissar Karel de Gucht hat nicht lange gewartet, sondern die Notbremse gezogen: Mit sofortiger Wirkung werden die Verhandlungen der EU mit den USA über ein Freihandelsabkommen auf Eis gelegt. Zwar betonte man in Brüssel postwendend, es handele sich nur um eine dreimonatige Pause und auch die betreffe nur einen bestimmten Bereich. Dennoch kommt die Maßnahme überraschend. "Regierungen müssen die Freiheit haben, Gesetze zu erlassen, die das Ziel haben, die Bevölkerung und die Umwelt zu schützen", begründete der belgische Kommissar seinen Beschluss. "Aber sie müssen auch die richtige Balance finden und Investoren fair behandeln, um weiter Investitionen anlocken zu können. Internationale Handelsabkommen wie die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sollten beides sicherstellen."

Es geht um Investitionsschutzklauseln (ISDS). Sie erlauben es den Unternehmen, Staaten auf internationaler Ebene vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie glauben, durch die Gesetzgebung diskriminiert und ihre Investitionen geschädigt zu werden. Ein jüngstes Beispiel zeigt, wie weit das gehen kann: So hatte der Tabakkonzern Philipp Morris über seine Tochter in Hongkong den Staat Australien wegen dessen strikter Anti-Raucher-Gesetzgebung verklagt und sich dabei auf ISDS berufen. "Der Fall zeigt einen Missbrauch des Systems", betonte Ignacio Garcia Bercero, EU-Chefunterhändler bei den Gesprächen mit den Amerikanern. Seiner Meinung nach müssten die internationalen Schiedsgerichte transparenter besetzt werden. In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen solche Höfe mit Wirtschaftsjuristen bestückt waren, deren Neutralität zumindest angezweifelt wurde.

Die Umweltorganisation Greenpeace hatte bereits von einem "Klagerecht für Konzerne im Hinterzimmer" gesprochen. Sie befürchtet, dass durch die Hintertüre geklonte US-Produkte und Hormonfleisch auf die europäischen Tische kommen könnten. Solche Klauseln sind im europäischen Recht üblich. Nach Angaben der Kommission gibt es 1400, allein in Deutschland bestehen 130. Doch diese hätten erhebliche Lücken. Kommissar de Gucht hatte den Auftrag, diese Klauseln juristisch sauber umzuarbeiten und dann im Abkommen mit Washington festzuzurren. Als das nicht gelang, zog er die Notbremse. Innerhalb der nächsten drei Monate solle sich die EU selbst darüber klar werden, was sie wolle, heißt es in Brüssel. De Gucht selber formulierte das in einem Brief an die Wirtschaftsminister so: "Es ist notwendig, eine öffentliche Reflexion einzuräumen, wie die EU diese Verhandlungen angehen soll und was unsere politischen Ziele sein sollen." Mit anderen Worten: Die Kommission will sicherstellen, dass missbräuchliche Investoren-Klagen unterbunden werden, aber berechtigtes juristisches Vorgehen gegenüber den USA möglich bleibt.

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