Paris Frankreich denkt über noch härtere Regeln nach

Paris · In Frankreich herrscht große Ratlosigkeit. Trotz nächtlicher Ausgangssperren, rigiden Kontaktbeschränkungen und umfangreichen Hygieneregeln bekommt das Land die Corona-Pandemie nicht in den Griff. Die Zahl der registrierten Neuinfektionen pendelt seit mehreren Tagen zwischen 30 000 und mehr als 50 000. Der wissenschaftliche Rat der Regierung geht davon aus, dass es tatsächlich 100 000 Neuinfektionen täglich gibt, von denen aber viele unerkannt bleiben.

Frankreich denkt über noch härtere Regeln nach
Foto: dpa/Thibault Camus

Zuletzt schockte die Zahl von mehr als 500 Todesfällen an einem Tag das Land.

Die Behörden gaben allerdings zumindest in diesem Fall Entwarnung und erklärten, dass sie nach einer kurzen Pause von vier Tagen erstmals wieder Zahlen aus Altenheimen bekannt gegeben hätten. Tatsache aber ist, dass Frankreich mit inzwischen fast 36 000 Todesfällen zu den von der Corona-Pandemie am schwersten betroffenen Ländern Europas zählt.

Nach Einschätzungen des wissenschaftlichen Rats wird die aktuelle Corona-Welle „stärker sein als die erste“. Er sei von der „Brutalität“ der Zunahme der Neuinfektionen in den jüngsten 15 Tagen überrascht, sagte Jean-François Delfraissy, der Leiter des Beratungsgremiums, am Montag dem Radiosender RTL. Viele Ärzte plädieren inzwischen für einen kompletten und landesweiten Lockdown.

Angesichts dieser Entwicklung wird erwartet, dass Präsident Emmanuel Macron das öffentliche Leben im Land noch weiter und sehr drastisch einschränken wird, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Der französische Innenminister Gérald Darmanin sagte am Dienstag vor einer Krisensitzung des Kabinetts, „harte Entscheidungen“ seien unausweichlich. Schon vor Tagen betonte Premierminister Jean Castex, dass sich das Land mitten in der „zweiten Welle“ befinde.

Sorge bereitet den Verantwortlichen insbesondere der massive Druck auf die französischen Krankenhäuser. Ohne verschärfte Maßnahmen dürften sie in zwei Wochen landesweit an ihre Belastungsgrenze stoßen, wie Teilnehmer nach einem Krisentreffen von Regierungschef Castex mit den Sozialpartnern berichteten. Der Chef des französischen Krankenhausverbands, Frédéric Valletoux, warnte vor „verheerenden“ Folgen für die Kliniken, wenn die aktuelle Entwicklung nicht gestoppt werde. Knapp 60 Prozent der Betten in den Intensivstationen sind inzwischen mit Corona-Patientinnen und -Patienten belegt.

Angesichts dieser Zahlen ertragen die Franzosen die nächtlichen Ausgangssperren mit einer überraschenden Gelassenheit. Die Menschen dürfen seit knapp über einer Woche zwischen 21 Uhr und sechs Uhr morgens nur noch für die Arbeit und bei medizinischen Notfällen ihre Häuser verlassen. Es ist die härteste Maßnahme seit dem landesweiten Lockdown zwischen März und Mai. „Wir müssen strengere Maßnahmen ergreifen, um die Kontrolle wiederzuerlangen“, sagte Präsident Macron bei der Verkündung der neuerlichen Ausgangssperre in einem Fernsehinterview, das 20 Millionen Franzosen vor den Bildschirm bannte. Vor einigen Tagen nannte der Präsident die rasch steigende Zahl der Notfallpatienten und die knapp 25 000 Neuinfektionen pro Tag „Besorgnis erregend“ – inzwischen ist diese Zahl auf knapp das Doppelte gestiegen.

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