Einzelkritik So schlugen sich die Ministerinnen und Minister des Merkel-Kabinetts
Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD)
Der Vize-Kanzler setzte zunächst die Politik seines Vorgängers Schäuble (CDU) fort, hielt an der „Schwarzen Null“ im Etat fest. Doch nach dem Corona-Ausbruch 2020 öffnete er seine Kasse, setzte die Schuldenbremse aus. Der SPD-Kanzlerkandidat stahl dem CDU-Kollegen Altmaier als „Wumms“-Minister die Show. Intern aber machte er Altmaier bei den Wirtschaftshilfen das Leben schwer. In der Finanzmarktpolitik zeigte Scholz Schwächen, die Verstrickung seines Ministeriums in die Wirecard- und FIU-Affäre ist ungeklärt. Prädikat: raffiniert
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
Zum Ende seiner 50-jährigen Polit-Laufbahn hat Horst Seehofer mit dem Innenministerium ein Mammut-Ressort übernommen. 2018 kam es beim Thema Migration zum Zerwürfnis mit Merkel. Seehofer prägte den Satz: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“ Dass es nicht zum Bruch zwischen CDU und CSU kam, ist wohl eines seiner Verdienste. Die Mammut-Aufgabe einer EU-weiten Migrationspolitik gelang ihm nicht. Einen Orden aber hat er errungen: Mit über zwölf Amtsjahren ist Seehofer der dienstälteste Bundesminister. Prädikat: durchgehalten
Außenminister Heiko Maas (SPD)
Der Jurist kam gewissermaßen auf der Außenbahn und ohne nennenswerte außenpolitische Erfahrung auf den Chefposten des Auswärtigen Amtes. Maas setzte früh einen Akzent für einen härteren Kurs gegenüber Russland. Er startete eine Initiative für eine „Allianz für den Multilateralismus“ als Reaktion auf den diplomatisch irrlichternden damaligen US-Präsidenten Donald Trump und holte gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Internationale Libyen-Konferenz nach Berlin. Bis dato: kaum Fehler, aber auch keine Höhen. Das Afghanistan-Desaster bescherte ihm schließlich keine gute Schlussbilanz. Prädikat: durchwachsen
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
Peter Altmaier tat sich schwer mit dem Job. Aus dem Merkel-Intimus wurde einfach kein neuer Ludwig Erhard. Er fand im ersten Jahr keinen Energie-Staatssekretär, die wichtigste Schaltstelle der Energiewende. Für den Ausbau der erneuerbaren Energien tat er zu wenig, am Ende musste er eingestehen, dass der Strombedarf wegen der angepeilten Klimaneutralität viel höher ist als von ihm geplant. In der Industriepolitik brachte er den Mittelstand gegen sich auf. Erfolgreich förderte er die Batteriezellproduktion in Deutschland. Prädikat: unglücklich
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD)
Christine Lambrecht (SPD), die für Katarina Barley (SPD) nachgerückt kam, gehört wahrlich nicht zu den prominentesten Mitgliedern in Merkels Kabinett. Im Hintergrund hat sie aber ordentliche Arbeit abgeliefert. Sie setzte sich etwa für die ausgeweitete Strafbarkeit von Stalking, für die härtere Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, für faire Verbraucherverträge oder die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz ein. Zum Ende der Legislaturperiode wurde Lambrecht sogar Doppel-Ministerin, weil ihre Parteikollegin Franziska Giffey als Familienministerin zurücktrat. Prädikat: solide
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
Hubertus Heil erbte von SPD-Vorgängerin Nahles ein gut bestelltes Haus und musste nur umsetzen, was im Koalitionsvertrag stand: die doppelte Haltelinie bei der Rente, höhere Mütterrenten, die Einführung der Grundrente. Dass die schlecht gemacht ist, geht nicht allein auf seine Kappe, sondern auf die der Koalition insgesamt. Auf dem Arbeitsmarkt lief wegen der guten Konjunktur alles wie am Schnürchen - bis Corona kam. Heil organisierte schnell die massive Ausweitung des Kurzarbeitergeldes, legte Homeoffice-Regeln fest. Prädikat: umtriebig
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)
Entgegen eigener Festlegung drängte die damalige CDU-Vorsitzende doch noch ins Kabinett, als Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Mitte 2019 nach Brüssel wechselte. Ihr gelang, das von ihrer Vorgängerin erschütterte Grundvertrauen der Soldaten wiederherzustellen. Als 2020 Skandale im Kommando Spezialkräfte bekannt wurden, griff sie zum „Eisernen Besen“, hatte aber später selbst mit der Frage zu kämpfen, seit wann sie was wusste. Kommunikativ verpasste sie wiederholt die Einbindung wichtiger Akteure, für große Umbauten legte sie nur Grundsteine. Prädikat: verbesserungsfähig
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU)
Mitunter hat Julia Klöckner zu viel Nähe zu Lobbyisten gezeigt. Vor allem aber musste sie dramatische Herausforderungen stemmen: Erst die Dürre, dann der Regen. Klöckner half. Kaum ein Ressort ist zudem so im Visier von Interessengruppen – beim Tierwohl, der Finanzverteilung, bei Bio versus Konventionell. Das macht den Job heikel. Klöckner richtete zum Umbau der Tierhaltung die Borchert-Kommission ein. Inwieweit deren vielfach gelobten Vorschläge umgesetzt werden, ist offen. Das hängt – wie vieles – von den Ländern ab. Prädikat: bemüht
Bundesfamilienministerin a.D. Franziska Giffey (SPD)
Vor ihrem Sprung in die Bundespolitik machte Giffey als strenge aber nahbare Bürgermeisterin des Berliner Problembezirks Neukölln auf sich aufmerksam. Als Familienministerin arbeitete sie mit ausgeprägtem Sinn für griffige Gesetzesnamen (Gute-Kita-Gesetz) fast alle Koalitionsvorhaben für Familien ab, blieb nur in der Corona-Krise manchmal zu leise. Überschattet wurde ihre Amtszeit von der Plagiatsaffäre. Nach Bekanntgabe weiterer Untersuchungen der Promotion trat sie als Ministerin im Mai 2021 zurück. Jetzt will sie Regierende Bürgermeisterin in Berlin werden. Prädikat: ehrgeizig
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
Der junge Minister war mit großen Ambitionen gestartet. Er wollte die verkrusteten Strukturen des Gesundheitswesens aufbrechen, etwa die Pflege umbauen, die Krankenkassenfinanzen oder die Versorgung durch Ärzte. Das große Projekt der Legislaturperiode war allerdings Corona: Spahn war auf allen Kanälen. Man werde sich viel verzeihen müssen, sagte er zu Beginn der Krise. Auch ihm musste man einiges verzeihen, bei Masken, der Impfstoffbeschaffung und im eigenen Umgang mit Corona-Regeln etwa. Am Ende verstummte die Kritik, weil die Pandemie sich dem Ende näherte. Klar ist: Spahn will die Ministerleiter weiter erklimmen. Prädikat: ambitioniert
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)
Kein Minister hat eine schlechtere Bilanz vorzuweisen. Scheuer ist verantwortlich für das Maut-Desaster. Er unterschrieb die Verträge vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, der die Gebühr dann kippte. Den Steuerzahler dürfte das Hunderte Millionen Euro kosten. Mit Autofreund Scheuer ist die Verkehrswende kaum vorangekommen. Die Probleme türmen sich weiter: Bei der Digitalisierung, der Infrastruktur oder der Bahn. Scheuer hat aber seinen Optimismus nicht verloren. Er möchte wieder Verkehrsminister werden. Prädikat: miserabel
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD)
Zunächst startete Svenja Schulze als etwas blasse und wenig durchsetzungsstarke Ministerin. Auch nach den Verhandlungen des Kohleausstiegs gab es Kritik an Schulze, die aus Sicht von Umweltverbänden mit ihrem SPD-Parteibuch und der Herkunft aus dem einstigen Kohleland NRW nicht hart genug für den Klimaschutz eingetreten war. Zum Ende ihrer Amtszeit aber kämpfte Schulze noch erfolgreich für das wegeweisende und für die nächsten Regierungen bindende Klimaschutzgesetz sowie für das Insektenschutzpaket. Und sie startete die schwierige Suche nach einem Atom-Endlager. Prädikat: solide
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU)
Kaum eine andere Ministerin zog so viel Kritik auf sich, wie Anja Karliczek mit ihren Sätzen zum Ausbau von 5G-schnellem Internet. Dies sei „nicht an jeder Milchkanne“ notwendig, sagte sie Ende 2018. Bis heute hängt ihr das nach. Und auch sonst hatte Karliczek zu kämpfen, etwa mit dem schleppenden Digitalpakt, einer neuen Batteriefabrik in ihrer Heimat sowie wegen mangelnder Kompetenzen bei Corona-Maßnahmen an Schulen. Immerhin: Spektakuläre Fortschritte bei Quantencomputern und der Entwicklung des Corona-Impfstoffes fielen in ihre Amtszeit. Prädikat: durchwachsen
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU)
Entwicklungsminister Gerd Müller war das nervigste, klarste und ungeduldigste Regierungsmitglied. Er zeigte, dass Christsoziale leidenschaftlich „grün“ und „solidarisch“ sein können. Unermüdlich kämpfte er für die Ärmsten, entwickelte ehrgeizige Kampagnen und Programme, fuhr dahin, „wo es wehtut“, um auf verdrängte Katastrophen aufmerksam zu machen. Ein weichgespülter Erfolg: Das mit Arbeits- und Wirtschaftsminister zäh verhandelte Lieferkettengesetz zugunsten besserer Bedingungen in Entwicklungsländern. Macht auf hohem UN-Posten in Wien weiter. Prädikat: gewissenhaft
Bundeskanzleramtschef Helge Braun (CDU)
Eigentlich liegt ihm die Arbeit im Hintergrund. Es ist auch Braun Verdienst, dass von den Versprechen im Koalitionsvertrag von Union und SPD viel umgesetzt wurde. Braun ist der Mann des Kompromisses: Grundrente, das Klimaschutzpaket Ende 2019 oder das Lieferkettengesetz schmiedete er. Mit Corona rückte der Hesse stärker in die Öffentlichkeit. Er war der Strippenzieher bei den Ministerpräsidentenkonferenzen. Zu Beginn der Pandemie lief das gut, irgendwann lief die Länderrunde allerdings aus dem Ruder. Es war nicht nur Brauns Schuld. Der Mediziner gehörte wie seine Chefin Merkel zum Team Vorsicht in der Pandemie. Prädikat: fleißig