Der positive Jahresrückblick 20 gute Geschichten, die wir 2020 erlebten
2020 war ein Jahr voller schlechter Nachrichten. Trotzdem fragten wir uns in der Redaktion: Hatten wir auch schöne Erlebnisse? Glücklicherweise ja. Wir haben 20 davon gesammelt.
Wir können alles schaffen!
Nur wenige Tage können bereits erholsam sein und der Alltag ist – zumindest für einige Zeit – vergessen. Die Corona-Krise sorgte dafür, dass es 2020 kaum möglich war, in Urlaub zu fahren. Und doch habe ich es geschafft, wenige Tage dem Chaos zu entfliehen. Sehr weit hat es mich nicht verschlagen. Das Ziel: Kaisersesch am Rande der Eifel – keine 15 Kilometer von der Mosel entfernt. Der Plan: abschalten. Die Reisebegleitung: meine Fotoausrüstung. Gefühlte Ewigkeiten hatte ich nicht mehr so viel Zeit nur für mich, um über alles Mögliche nachzudenken, mit vergangenen Ereignissen abzuschließen und mich für Neues zu öffnen.
Zwischen Weinbergen, Burgen und der Mosel sind Gedanken an Ausgangsbeschränkungen und Abstände weit in die Ferne gerückt. Auch zwei lange gehegte Wünsche konnte ich mir selbst erfüllen: Einen Besuch der Burg Eltz und einen Spaziergang über die Hängebrücke Geierlay. Letzteres war eine Mutprobe an mich selbst. Mit Höhenangst über eine Brücke zu gehen, die 100 Meter über dem sicheren Boden hängt – nicht gerade eine glorreiche Idee. Sonst schaffe ich es kaum, über ein Geländer im Einkaufszentrum zu schauen. Dennoch reihte ich mich hinter zahlreichen Menschen für eineinhalb Stunden ein, um die 360 Meter zu gehen. Nachdem der Weg bewältigt war, breitete sich ein Gefühl der Erleichterung aus. Und das Wissen: wir können alles schaffen, es gehört nur etwas Überwindung dazu. Jessica Becker
Wie Nurejew an der Schnur
Der Wind war rau an jenem Tag im November. Der Himmel hingegen schien aller Lasten entledigt und blickte auf mich herab wie die Sonne auf den Hafen von Capri. Heute war alles möglich. Also stieg ich hinab in den Keller, wo der Weg zum Ziel gepflastert war mit Rollschuhen und Übertöpfen. Die Reste des Sommers. Und da lag er. Eingepackt in Klarsichtfolie, umschlungen von einer langen Schnur: der Drachen. Mehr als drei Jahrzehnte hatte ich es nicht mehr gewagt. Zu tief saß die Enttäuschung aus früher Jugend, wenn ich mit dem Nylon-Monster, festgezurrt an dünnem Faden, über die Wiese rannte und hoffte, der Wind möge ihn packen und mitnehmen. Hinauf. Zu sich. Aber es sollte nicht sein. Nie. Immerzu sackte er hinab, zuckelte im Stolpertakt übers feuchte Gras. Und so ging das jeden verdammten Herbst. Bis zu diesem Novembertag 2020. Mutig schritt ich ins Feld, steckte Teil in Teil zusammen, bis der Drache seine Flügel ausbreitete und leise zu flüstern schien: „Lass los.“ Also ließ ich ihn los. Und rannte. Schritt für Schritt, den Blick nach hinten gerichtet. Und er blieb. In der Luft. Der Drachen blieb in der Luft und rief mir zu: „Schnur! Mehr Schnur!“ Ich gab ihm, was er wollte. Immer höher und höher stieg er, tanzte am Himmel wie Nurejew an der Mailänder Scala. Grad so, als wolle er mit dem Wind für immer davon ziehen. Ja, der Wind war rau an jenem Tag. Doch ich habe ihn bezwungen. Ich und mein Drachen. Marc Prams
Endlich Zeit für eine alte Tradition
Der erste Lockdown war für meine Familie und mich eine schöne Zeit. Keine Sitzungen, keine Vereinsverpflichtungen. Stattdessen traumhaftes Wetter, lange Radtouren und so viel Zeit füreinander wie noch nie, seitdem unsere Tochter geboren ist. Das war vor acht Jahren. Und seitdem stand an Ostern stets ein Trip in einen Freizeitpark an; verbunden mit einem Picknick auf einem Parkplatz an der Autobahn, wo Emilia ihre Ostereier suchte.
Auf Letzteres freue ich mich immer besonders. Dennoch war ich nicht traurig, als diese Oster-Tour ausfiel. Denn so konnte ich eine andere Tradition endlich bei Emilia einführen, die ich als Kind mit meinen Eltern so genossen habe und die wegen der Touren nie möglich war. Ich war aufgeregter als unsere Tochter, als ich sie an einem sonnigen Nachmittag dazu überredete, mit mir in den Wald zu radeln. Um Moos zu suchen. „Damit bauen wir hinter unserem Haus ein Nest, in das der Osterhase die Eier legen kann“, freute ich mich wie ein kleines Kind. Das heißt, nicht ganz genauso. Denn meine Tochter war gar nicht so begeistert. Als sie das erste Moos am Rande des Feldwegs sah, stieg sie vom Rad und freute sich, dass dieses Thema wohl nun erledigt ist. Meine Aufforderungen, doch tiefer in den Wald zu gehen, um schöneres Moos zu finden, ignorierte sie. Und so hatten wir ein recht bräunliches, verdorrtes Osternest hinterm Haus, aber ein zauberhaftes Osterfest im Garten. Melanie Mai
Beobachten bis zum ersten Pieps
Anfang Mai. Lockdown in Deutschland. Ich komme an dem kleinen Biotop vorbei. Hier bin ich schon ein paar Mal gewesen. Immer nur kurz. Ich drehe eine Runde. Spaziere mit der Fotokamera um den Weiher, bleibe öfters mal stehen, sehe mich um. Ein Graureiher und ein Silberreiher teilen sich das Revier. Staksen durch das an den Uferbereichen nur kniehohe Wasser. Lauern auf Beute.
Am nächsten Morgen bin ich wieder da. Entdecke ein Nest an einem umgestürzten Baumstumpf im Wasser. Blässhühner haben es gebaut. Sieben Eier liegen darin. Jetzt bin ich richtig elektrisiert. Komme am Tag darauf wieder. Familie Blässhuhn brütet. Und brütet. Und brütet. 14 Tage lang. Ich bin da. Mal für eine halbe, mal für eine, mal für zwei Stunden. Sehe dem Grau- und dem Silberreiher beim Angeln zu. Entdecke am helllichten Tag ein Wildschwein. Einen Kuckuck hoch oben in den Bäumen. Einen Schilfrohrsänger. Eine Gebirgsstelze. Schildkröten. Einen Bisam. Libellen. Dann sogar einen Eisvogel. Und die Blässhühner? Sie brüten. Wird das noch was? Der nächste Tag. Soll ich heute wirklich schon wieder hinfahren? Ja! Inzwischen hat die Gastronomie wieder geöffnet. Weitere Lockerungen sind im Gespräch. Werden die Reisewarnungen aufgehoben? Am Morgen des 25. Mai ist es soweit. Bewegung im Blässhühner-Nest. Zwei Küken sind geschlüpft. Zwei weitere folgen. Happy End am Biotop. Unvergesslich. Thomas Reinhardt
Entschleunigung unter Freunden
Wer viel im großen Pulk unterwegs ist, findet oft weder Zeit noch Gespür für die „kleinen“ Begegnungen. Die jedoch können intensiv, hilfreich und tröstend sein. Wie viele andere habe auch ich in diesen Zeiten das Spazierengehen entdeckt. Seit dem ersten Lockddown treffe ich mich regelmäßig mit Menschen, die ich vorher eher selten gesehen habe. Und siehe da: Man lernt sich wieder ganz neu kennen, es entsteht Nähe und der eigene Kosmos wird größer, obwohl die Welt seit Anfang des Jahres irgendwie geschrumpft ist. Diese Art freundschaftlicher Entschleunigung möchte ich mir erhalten, wenn die Zeiten wieder hektisch sind. Sie haben mich in diesem Jahr bereichert. Esther Brenner
Liebe auf den allerersten Blick
Was machen die frischgebackenen Großeltern alle für ein Gedöns, habe ich ehrlich gestanden gelegentlich gedacht. Und dann habe ich dieses kleine Geschöpf das erste Mal auf dem Arm. Weiche Haut, so kleine Hände, die – dieser wunderbare Reflex – sich um meinen Finger schließen, dieses Stupsnäschen und natürlich schaut sie mich an. Ob sie mich später Opa, Großvater oder wie nennen soll, fragen die ebenso glücklichen Eltern. Ist doch völlig egal, wir werden uns sowieso verstehen. Mathias Winters
Frauenabende ohne Terminstress
Wir sind sechs Freundinnen aus Studienzeit. Eine lebt mittlerweile in Namibia, die fünf anderen wohnen in verschiedenen Städten, verteilt über Deutschland und Frankreich. Alle mit Job, Familie und einem erfüllten Sozialleben. Wenn zwei von uns es schaffen, Zeit zu finden um miteinander zu telefonieren, grenzt das schon an einem Wunder. Bevor die fünf aus Deutschland und Frankreich es schaffen, einen gemeinsamen Termin für ein Treffen zu finden, müssen im Voraus über Wochen unzählige Doodle-Umfragen ausgefüllt werden.
Das gemeinsame Wochenende in diesem Jahr hatten wir mit entsprechendem Vorlauf terminiert. Es sollte Mitte März in Saarbrücken stattfinden. Dann kam Corona und unser lang gehegter Plan fiel ins Wasser. Die Enttäuschung über das geplatzte Wiedersehen war riesig. Aber es war nicht das Einzige, was im Lockdown ausfiel. Sportkurse, Kinoabende und Ostern mit den Großeltern waren auf einmal gestrichen. Das heißt wiederum, alle hatten plötzlich Zeit. Und zwar gleichzeitig. Und so begannen wir uns ohne Terminkollisionen wieder öfter zu treffen. Zwar nur online, aber immerhin konnten wir uns bei unseren „apéros zoom“ im Lockdown wieder stundenlang zu sechst unterhalten – zum ersten Mal seit zwei Jahren. Denn auch die Freundin aus Namibia war dabei. Für ein Wochenende nach Saarbrücken hätte sie es auch ohne Lockdown sowieso nicht geschafft. Hélène Maillasson
Stille Tage in schönster Eintracht
Eigentlich war die Tochter längst ausgezogen. Aber dann kam der große Lockdown im Frühling. Und das große Kind beschloss, dass es ihr in der leeren WG zu einsam war und zog für ein paar Wochen wieder heim.
Das war eines der schönsten Geschenke, die das Corona-Jahr uns machen konnte. Wir verbrachten eine harmonisch-entspannte Zeit miteinander. Saßen in trauter Dreisamkeit stundenlang im Garten und lasen, spielten Karten, kochten viel (meist vegan, denn die Welt muss ja auch gerettet werden) und veranstalteten lange Filmabende auf dem Sofa. Wir drehten ungezählte Runden mit dem Hund im Wald – inklusive manchmal sehr intensiver, hin und wieder auch hitziger Gespräche. Und ich habe jede Minute genossen.
Obwohl wir bis wenige Monate zuvor 18 Jahre lang nahezu tagtäglich zusammen waren, war dieses unerwartet Familien-Revival etwas ganz anderes. Das Verhältnis zwischen Eltern und erwachsenen Kindern ändert sich ja mit dem Auszug. Man rutscht sozusagen auf Augenhöhe. Normalerweise kann man als Eltern dieses neue partnerschaftliche Miteinander mit den großen Kindern nur bei Wochenend-Besuchen oder vielleicht an Weihnachten erleben. Wir hatten dank des Lockdowns gleich mehrere Wochen davon. Eine Chance, die wir ohne Corona wohl nicht bekommen hätten. Es wird meine glücklichste Erinnerung an das Jahr 2020 bleiben. Susanne Brenner
Schwanensee am Fluss unter der Ostspange
Mit der schönste Tag in 2020 war für mich ein Donnerstag. Anfang Dezember, am Ufer der Saar, Höhe Osthafen in Saarbrücken, etwa 7.13 Uhr. Auf dem Leinpfad jogge ich dort, nahezu jeden Morgen, seit Jahren. Man kennt sich: die Fischreiher und ich. Die Angler und ich. Die Enten und ich. Die Gänse und ich. Und: das Tier, das gerne in der Mitte der Saar schwimmt, und für mich so ausschaut wie ein Biber – und deshalb wohl keiner ist. Die meisten grüße ich morgens, mal mit einem Nicken, mal nur in Gedanken, mal sage ich sogar „Servus, alter Rabe“, mal gar nichts, dennoch: Man kennt sich.
Daher fiel mir auf, dass etwa Mitte November einer der zwei „Ostspangen-Schwäne“ fehlte. Weg. Das Paar war nicht mehr. Nur noch einer glitt durch den Morgen-Nebel. Ein einsamer Schwan, majestätisch traurig. Ich machte mir ernsthaft Sorgen, wochenlang, verfolgt von düsteren Gedanken, die sich ausmalten, was seiner Liebe passiert sein könnte. Fremdgegangen? Flugunfall? Ein Monster-Wels? An Futter verendet? Ermordet an der Berliner Promenade? Quälende Gedanken. Nahezu jeden Morgen. Bis zu diesem schönen Donnerstag im kalten Dezember. Da waren sie auf einmal wieder zu zweit, wieder zusammen. Auf der Saar glitten sie durch den Frühnebel in Richtung Güdinger Morgensonne. Als Paar. Glücklich. Ich kann ihnen gar nicht aufschreiben, wie sehr mich das gefreut hat. Sehr. Michael Kipp
Dem Wald werde ich die Treue halten
Ich und Joggen? Niemals. Zumindest keine weiten Strecken, alles über vier Kilometer war bis März noch ein No go. Dann kam Corona. Und von heute auf morgen ging nix mehr. Kein Tennis, kein Fitness-Studio.
„Laufen geht immer“, hat mal eine frühere Tenniskollegin gesagt, die täglich ihre Runden drehte. Wie recht sie hatte, stellte ich im Frühjahr fest. Morgens, mittags oder abends, die Uhrzeit ist egal, das Wetter weitestgehend auch. Und was viel wichtiger war und ist: Der Wald ist groß genug. Meist begegnet man niemandem, manchmal sind ein paar Nordic-Walker unterwegs oder auch Menschen mit ihren Hunden.
Es tut so gut, den Kopf frei zu bekommen. Ob vor oder nach dem Frühstück, man sieht sogar die Sonne aufgehen. Es ist schon verrückt. Wenn mir das jemand noch vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich mich alle zwei Tage auf den Wald und die frische Luft freue, ich hätte ihn wohl für verrückt erklärt.
Keine Angst, ich werde keinen Marathon anstreben. Habe mir (auch ein zeitliches) Limit gesetzt. Maximal eine Stunde. Denn ich stelle fest: Man kann sich auch in einen Rausch laufen. Was ich weiß: Ob mit oder ohne Corona werde ich dem Laufen die Treue halten. Astrid Dörr
Ein neues Hobby ist wie ein neues Leben
Die Kontaktbeschränkungen im Frühjahr haben mich als Single wahr- und wahrhaftig vor die Tür getrieben. Spaziergänge mit Freundinnen wurden für mich zum wichtigen Lichtblick in düsteren Zeiten. Irgendwann reichte das aber nicht mehr. Je stärker ich das Gefühl hatte, eingepfercht zu sein, umso größer wurde mein Bewegungsdrang. Ein neues Hobby musste her und das könnte sich zu einer ganz großen Leidenschaft auswachsen: Ich klettere neuerdings. Trotz Höhenangst. Der Klettersteig am Boppard, über den so manches Kind nur müde lächeln kann, wurde für mich zur Feuertaufe – und ich bestand sie. Danach ging es in der Kletterhalle erst auf neun Meter hoch und kurz vor der neuerliche Zwangspause auch an die große Wand: 16 Meter blanke Panik – besiegt. In diesem Jahr, das ansonsten nicht gerade vor Highlights strotzt, waren diese kleinen und großen Erfolgsmomente unheimlich wichtig. Das Allerbeste aber ist, dass ich mein neues Hobby mit meinem Vater und meinem großen Bruder teilen kann. Stand ich noch vor einigen Wochen vor der Wand und habe mit Überzeugung und leichtem Zittern in der Stimme gesagt: „Höher als vier, fünf Meter gehe ich nicht“, träume ich jetzt davon, an einem echten Felsen zu klettern. Den kalten Stein zu spüren, die Finger um einen Vorsprung geklammert, den Duft von Moos in der Nase. Mit dem Wissen, dass ich das schaffen kann, wenn ich auf mich vertraue. Annabelle Theobald
Warum mein Hund die Krise locker meistert
In einer Zeit, in der so vieles zum Stillstand kommt, wie es gerade der Fall ist, denke ich immer wieder darüber nach, was wirklich wichtig ist im Leben. In der Selbstverständlichkeit des Alltags vergesse ich viel zu oft, die kleinen Dinge wertzuschätzen: eine gute Tasse Kaffee, ein spannendes Buch oder mehr Zeit mit lieb gewonnenen Menschen zu verbringen. Krisenzeiten wie diese zeigen uns, wie viele Freiheiten wir sonst genießen. Geschäfte, Fitnessstudios und Restaurants schließen, Kontakte werden reduziert, Home-Office wird gelebte Realität – das Leben verlangsamt sich. Corona zwingt uns, unseren Alltag zu verändern. Ja, das eigene Leben total umzukrempeln. Alle sind plötzlich fast rund um die Uhr zu Hause.
Eine erste Erkenntnis kam mir dabei ziemlich schnell: Meinem Hund Luka ist das alles so richtig egal. Er nimmt das Leben wie es kommt. Was für uns Menschen Stress ist, nimmt der zweieinhalbjährige Golden Retriever ganz cool. Beneidenswert. Er kümmert sich überhaupt nicht darum, dass wir bei unseren täglichen Gassi-Runden durch den Wald kaum einer Menschenseele begegnen oder ob wir genug Toilettenpapier zu Hause haben. Er sorgt sich nicht um Ausgangssperren oder Lockdowns. Er ist einfach nur unglaublich froh, dass er bei uns ist. Es ist schön zu sehen, wie wenig man am Ende des Tages dann doch zum Glücklichsein braucht. Julia Franz
Ein Jahr für alle Felle
Eine Bank im Gras, ein Buch in der Hand, ein Huftier auf dem Schoß. Fast. Jedenfalls wollten sie jedes Mal ganz nah ran rücken, das braune Pferd und das schwarze Pony mit der Elvis-Tolle, die auf der Wiese am Waldrand standen und Zweibeiner-Nähe akzeptierten. Lockdown-Tage zwischen langen Mähnen – eine Zufallspremiere, die sich ohne Corona-Krise nicht ergeben hätte. Und die sie leichter machte. Positiver. Wundersam.
Nicht, dass mich Corona zum Tierfreund machte. War ich längst. Aber nie sind mir in einem Jahr so viele Viecher begegnet, nie war mehr Fell in meinem Leben. Als die Menschenwelt ins Chaos stürzte, tauchten sie irgendwie stetig auf – ein naturnahes Gegenprogramm zum Wohlfühlen. Natürlich Niki, der Familientiger, der jede Krise kleiner kuscheln kann. Dann die Bande, die hinter der Mühle einzog. Zwei Ziegen, zwei Schafe, drei Gänse, Hühner. Kam Krise, kam Zeit, kam ein Gehege – und ich zu Besuch. Gesprochen haben wir nicht viel. Worüber auch, zu bedrückend das ganze 2020: Gesundheitskrise, Umweltkrise, Gewalt, Schweinestau, Nerzfarm, Notschlachtung. Lieber schweigen, denken, grasen. Danke sagen könnte ich bald mal – ohne Applaus, eher mit Leckerli. Auch den Nachbarskatern der Rehaklinik und dem Tauben-Paar vom Balkon. Fazit nach einem Jahr für alle Felle: Lieber Hamster als hamstern. Lieber schnurren als Katzenjammer. Lieber quer kraulen als quer denken. Frauke Scholl
Unser schönster Martinsumzug
Meine Kinder kämpfen mit den Tränen – St. Martin fällt aus. Kein Jahr war und ging ohne. Also basteln wir mit trotzdem Laternen, und Corona beschert uns einen außergewöhnlichen Martinsumzug.
Der kleinste? Ja. Zu viert auf dem dunklen Feldweg, die Kinder voran: unser Sohn mit einem strahlenden dicken Minion, unsere Tochter mit der selbst kreierten Nachbildung unserer Katze, ein Lämpchen im Kopf. Mein Mann trägt einen leuchtenden Dino vor sich her, unsere Tochter hat ihm den anvertraut. Ich darf ihre erste Laterne ausführen: Die hatten ihr großer Bruder und ich gebastelt, als sie längst noch nicht laufen konnte. Ein viel zu schweres Exemplar mit Lochmuster in Katzen- und Sternenform.
Es ist der stressfreiste Martinsumzug, samstags ohne Hetze zum Abholen der Kinder nach der Arbeit, kein übereiltes Suchen der Laternenstangen, um festzustellen, dass ein Lämpchen streikt (dank Corona bereits erledigt), kein „Beeilt Euch, wir kommen zu spät...“ Daheim warten selbstgemachter Kinderpunsch und Zuckerbrezel.
Es ist der lustigste Martinsumzug: Wir singen zu viert, als mitten in St. Martins Ritt ein Werbetrailer losschmettert. Auf Wunsch der Tochter mimt das Smartphone die Blaskapelle, damit’s „auch echt wird“. Leider der falsche Download ... egal. Lachen ist gesund. Ist es unser schönster Umzug? Vielleicht. Aber mit Sicherheit ein unvergesslicher. Michaela Heinze
Neue Berg-Liebe im Corona-Jahr
Sonst geht es im Urlaub in den Süden, ans Meer, in die Wärme. Aber in diesem Corona-Jahr war ja alles anders. Deshalb: Berge statt Meer. Per Auto statt Flieger. Im Herbst statt im Sommer. Und der goldene Oktober wurde unversehens zum Winter: 90 Zentimeter Neuschnee hatte es auf der Kanzelwand wenige Tage vor unserem Besuch gegeben. Eine kurze Fahrt mit dem Lift und oben, auf rund 2000 Metern, eine andere Welt. Eine nahezu schwarz-weiße Schnee- und Winterlandschaft, die wir bei der Wanderung fast für uns allein hatten. Die Stille und die Weite dieser Bergwelt strahlte eine Klarheit, Stärke, Erdung und Ruhe aus, die noch lange nachwirkt. Jennifer Klein
Kalter Entzug und neuer Theaterrausch
Über 25 Jahre lang Theaterkritiker: ganz ehrlich, da kann längst nicht mehr jeder Theaterabend das reine Vergnügen sein. Man hört und sieht sich eben auch mal satt, schätzt vieles irgendwann wohl auch zu wenig. Und dann: Lockdown. Über Wochen, Monate kein Konzert, keine Oper, kein noch so kleines Stück Bühne. Kalter Entzug. Was aber war es dann eine Freude, im September endlich wieder ins Saarbrücker Theater gehen zu dürfen, zu diesem „Trovatore“ – Theater so wunderbar neu und überwältigend wie beim ersten Mal. Und das tatsächlich dank Corona. Oliver Schwambach
Fünf Apfelbäume in unserem Garten stehen
Zu dem Haus, in dem ich mit meiner Familie wohne, gehört eine kleine Streuobstwiese. Fünf alte Apfelbäume stehen dort. Sie waren ein Grund dafür, weshalb es nicht so schlimm war, in diesem Jahr viel Zeit daheim verbringen zu müssen. Im sonnenreichen Frühjahr strahlte die Blütenpracht. Bei jedem Gang durch den Garten sog ich den süßen Duft ein und lauschte nach Bienen. Wenige Wochen später sah ich schon, wie sich unzählige Äpfel zu formen begannen. Im Juli war Zeit für die erste Ernte. Der Klarapfelbaum hing übervoll. Viele Äpfel landeten in Kuchen und im Frühstücksmüsli, eine große Menge wurde zu Apfelmus verarbeitet, der nun den Winter versüßt. Viele Äpfel haben wir verschenkt, ein paar bekamen auch die Schafe auf der Wiese nebenan.
Im September waren die Äpfel an den anderen vier Bäumen reif. Es waren so viele wie noch nie. Ein Baum hatte Giganten hervorgebracht. Die Küchenwaage zeigte bei einem Apfel 345 Gramm an. Eine halbe Tonne Äpfel sammelten wir ein und brachten sie an einem Samstagmorgen zur Mosterei. Am Abend konnten wir den Saft abholen. Welch ein Gefühl, als wir die noch heißen Kisten mit den Fünf-Liter-Schläuchen Saft ins Auto luden. Mehr als 300 Liter lagern jetzt im Keller. Und jedes Mal ist es ein Genuss, unseren Apfelsaft ins Glas laufen zu lassen. Er schmeckt lecker nach Natur. Und ein schönes Geschenk ist so eine Apfelsaftkiste auch. Volker Meyer zu Tittingdorf
Altes Spielzeug ganz neu belebt
Wann, wenn nicht in der Corona-Zeit, sollte man lange Aufgeschobenes endlich angehen? Sicher haben nicht wenige in diesem Jahr die Zeit zu Hause genutzt, um einmal aufzuräumen oder auszumisten. Ich habe mich dazu entschlossen, mich einem Schatz aus längst vergangenen Kindestagen zu widmen: meinen alten Legosteinen. Auch wenn sie ursprünglich mal zu ganz bestimmten Figuren, Fahrzeugen und Gebäuden gehört haben, habe ich sie in jungen Jahren irgendwann einmal auseinandergebaut und durcheinander geworfen – und dann nicht gescheit wieder zusammengebaut.
Bunt durcheinander gewürfelt haben die Steine also gute 15 Jahre in Kisten ihr Dasein gefristet. Schon vor ein paar Jahren wollte ich einmal Ordnung in dieses Chaos bringen, die Steine sortieren und alles wieder zusammenbauen. Doch das erwies sich als langwieriger und anstrengender als gedacht. Und bei so vielen Ablenkungen, mit denen die Außenwelt lockte, ließ ich die große Rekonstruktion erst einmal sein. Doch nun im Lockdown war die Zeit gekommen. Inzwischen habe ich einen Großteil der Steine sortiert und saubergemacht – nun geht’s ans Zusammenbauen. Das gibt einem neben wohliger Nostalgie-Gefühle auch ein wenig Halt und Sicherheit in diesen Tagen. Denn in Corona-Zeiten bewegt man sich ja oft aufs Ungewisse zu. Doch für meine Legosteine habe ich immer die passende Anleitung parat. Martin Trappen
Aus Rohbau wurde Refugium
„Abstellkammer“ nannte die Vermieterin den Raum bei der Wohnungsbesichtigung. Passt nicht, fand ich. Dafür war er zu groß und schade. Auch wenn es praktisch ein Rohbau war – daraus lässt sich doch was machen. Ein kuscheliges Extra-Zimmerchen. Eigentlich müsste dafür nur die abblätternde Tapete runter, eine neue drauf, vorher Risse spachteln, Farbe braucht’s, außerdem Lack für Tür und Fußleisten und dann sollte natürlich der Boden dringend abgeschliffen werden...
Ob ich sowas kann? Klar, schließlich entstamme ich einer Familie von saarländischen Handwerkern. Das Knauben liegt mir im Blut – den Aufwand dagegen hatte ich zugegebenermaßen massiv unterschätzt. Lange fehlte mir die nötige Muße für das Projekt. Corona änderte die Lage. Alle Welt zu Hause eingesperrt – wie konnte ich da Platz ungenutzt lassen? Also ging ich ans Werk. Mehr noch: Ich tobte mich so richtig aus. Viele Arbeitsstunden später ist das Zimmer nicht wiederzuerkennen. Beim Anblick der Tapete (mit einem Muster, das mir meine Eltern früher nicht erlaubt haben) und Poster (Bands, die ich schon mit 16 mochte) würde mir mancher Spötter wohl eine Midlife-Crisis attestieren, wenn ich dafür nicht zu jung wäre. Aber was soll’s. Wenn ich jetzt meine Ruhe brauche, bin ich glücklich über dieses kleine Refugium, das ich mir ganz allein geschaffen habe. Es ist vielleicht ein bisschen albern, aber urgemütlich. Und vor allem ist es meins. Aline Pabst
Hurra, endlich klappt der „Pink Panther“
Als ich vor zwei Jahren im Weihnachtskonzert eines Orchesters saß und die Musiker ein mitreißendes Medley amerikanischer Weihnachtslieder spielten, kam mir eine verwegene Idee: Da würde ich auch gerne mitspielen! Ich hatte als Kind mal Blockflöte und Keyboard gelernt, später auch Gitarre gespielt, oder besser gesagt: ausprobiert. Vorwiegend nach Gehör, denn mit dem Notenlesen hatte ich es nicht so. War ich jetzt größenwahnsinnig geworden?
Wochen nach dem Konzert mietete ich ein Tenorsaxophon und begann, Unterrichtsstunden zu nehmen. Beim Üben, das muss ich zugeben, war ich nicht immer ganz konsequent. Aber mit einem kleinen Kind, das kein Saxophon mag, und in der Corona-Zeit war es auch nicht immer ganz einfach.
Ich hatte mir aber ein Ziel gesetzt: In diesem Jahr wollte ich unbedingt den „Pink Panther“ spielen können, die Noten dazu bilden den Abschluss des ersten Unterrichtsbands. Wochenlang scheiterte ich an der immer gleichen Stelle beim Umgreifen. So flink sind meine Finger mit 38 nicht mehr. Vor ein paar Tagen gelang es mir endlich. Ich weiß, es ist wirklich eine Kleinigkeit. Aber in diesem trüben Jahr war mein „Pink Panther“ eines der wenigen Dinge, über die ich mich wirklich freuen konnte. Daniel Kirch