Fortschritt aus der Konserve

Saarbrücken. Der Vater der Konservendose war der Krieg. Weil die soldatische Kampfmoral oft unter fehlendem oder verdorbenem Proviant litt, setzte Napoleon ein Preisgeld von 12 000 Goldfranken für die Erfindung haltbarer Lebensmittel aus

Saarbrücken. Der Vater der Konservendose war der Krieg. Weil die soldatische Kampfmoral oft unter fehlendem oder verdorbenem Proviant litt, setzte Napoleon ein Preisgeld von 12 000 Goldfranken für die Erfindung haltbarer Lebensmittel aus. 1810, nach erfolgreichen Versuchen an Matrosen, konnte sich François Nicolas Appert die Belohnung (und den Ehrentitel "Wohltäter der Menschheit") abholen: Der Zuckerbäcker hatte mit seiner "Kunst, alle animalischen und vegetabilischen Substanzen in voller Frische, Schmackhaftigkeit und eigenthümlicher Würze mehrere Jahre zu erhalten" (so der deutsche Titel seines Konservenkochbuchs) Militärs wie Zivilisten überzeugt. Allerdings benutzte Appert noch Flaschen, die auf hoher See und Schlachtfeldern leicht zu Bruch gingen. Erst als der Engländer Peter Durand am 25.April 1810 ein Patent für Metallkonservendosen (Foto: dpa) anmeldete, begann ihr Siegeszug.

Schon lange vor Napoleon wurden Nahrungsmittel gepökelt, geräuchert und gedörrt, in Alkohol oder Öl eingelegt. Der Vorzug von Apperts Erhitzungsmethode bestand darin, dass sein Konservenfleisch erstmals nicht nach Salzlake, Essig oder Würmern schmeckte, sondern seine "eigentümliche Würze" behielt. Selbst Gourmets wussten das zu schätzen; der preußische König richtete sogar festliche Konserven-Diners aus.

Ohne Konservendose, sagte George Orwell einmal, hätte es keinen Ersten Weltkrieg gegeben. Ihre erste militärische Bewährungsprobe, Napoleons Russlandfeldzug, verlief allerdings unbefriedigend. Die Froschfresser, höhnten die Feinde, hätten vor Moskau ihre Bajonette mehr zum Herumstochern in ihren Blechbüchsen als im Nahkampf eingesetzt. Tatsächlich ließen sich die frühen, noch mit Blei verlöteten Konservendosen nur im Nahkampf, mit Bajonett, Blechschere, Säge oder Beil öffnen. Manche trugen die Aufschrift "Mit Hammer und Meißel öffnen".

1858 erfand der Amerikaner Robert Yeates dann endlich den Dosenöffner, ein gefährliches, säbelartiges Monstrum, das erst im "P-38-Opener" der US-Army seine heute noch gültige Gestalt fand. Ein Handschmeichler der Hausfrau wurde dieser Wohltäter der Menschheit freilich nie, eher eine dauernde Herausforderung für soldatische Grobmotoriker und Tüftler. Anders als nützliche Innovationen wie Reißlaschen oder die sich selbst erhitzende Dose konnte sich der elektrische Dosenöffner nie durchsetzen. Im Namen der Dose starben zahllose Entdecker und Eroberer den Heldentod; der britische Polarforscher John Franklin etwa erlag 1845 einer Bleivergiftung. Die Gefahr des "Botulismus" ist heute gebannt: Jedes Kind weiß, dass man aufgeblähte Dosen nicht auslöffeln darf; es sei denn, es wäre Sörströmming, der bestialisch stinkende Gammelhering, der in Schweden als Delikatesse gilt. Über den Geschmack aus der Dose lässt sich streiten, über ihre historische Bedeutung nicht. Ohne Konservendosen wären die Pole und die Quellen des Nils vielleicht nie entdeckt worden, die Fleischmetropole Chicago noch eine Kleinstadt und der Hunger in der Welt noch schlimmer. Und ohne die Dosenravioli, die Maggi 1958 auf den Markt warf, stünde die Frauenbewegung noch heute Möhren schabend am Herd. Schon 1894 klagte das "Appetitlexikon": "Die berühmte deutsche Hausfrau verplempert viel zu viel Zeit in der Küche, und bevor sie diese 'Tugend' nicht ablegt, wird sie nicht zur ebenbürtigen Gefährtin des Mannes werden." Aber wie schon Staatsleben und Kriegskunst werde die Konservendose "auch das häusliche Leben des Volkes allmählich freier, würdiger, genussreicher gestalten, und die Nachwelt wird daher das 19. Jahrhundert weder das eiserne noch das papierene, sondern das 'Jahrhundert der Konserven' nennen."

Der Chef des Dosenkonzerns Impress hat gerade 2010 zum "Jahr der Konservendose" erklärt, aber ihre Blütezeit fäll eher ins 20. Jahrhundert. In Deutschland, bis 1945 eine Bastion des Einweckens, krönte am reich gedeckten Wirtschaftswundertisch die exotische Dosenfrucht jeden Toast Hawaii.

Andy Warhols Suppendosen wurden nicht aus ästhetischen oder kulinarischen Gründen zu Ikonen der Konsum- und Popkultur. Seriell produziert, neutral im Geschmack, austauschbar, kompakt, ist die Dose die Ware schlechthin: Die Verpackung ist der Inhalt, das Etikett die Botschaft.

Konservieren heißt: Reife- und Verfallsprozesse anhalten, Zeit bis zum Verfallsdatum stillstellen. Zurückdrehen lässt sie sich nicht. Die Dose, von Impress als "größte Verpackungsinnovation" aller Zeiten gefeiert, ist eine Zeitmaschine von gestern, als Lebensmittel noch nicht ultrahocherhitzt, schockgefroren und gentechnisch optimiert waren und die Wegwerfgesellschaft kein schlechtes Gewissen hatte. 1985 lancierte das "Informationszentrum Weißblech" die Werbekampagane "Ich war eine Dose", in der sich lustige Blechspielwaren stolz zu ihrer dunklen Vergangenheit bekannten. Als Titanic einem "jesusmäßigen umweltfreundlichen" Gekreuzigten den blasphemischen Slogan unterschob, war die Dosenlobby fast so empört wie die Kirche. Die Konservenbüchse der Pandora hat empfindliche Image-Dellen abbekommen, aber zum Leergut gehört sie auch nach zweihundert Jahren noch nicht.

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