Finanzsteuer steht vor dem Aus

Brüssel. Die Abgabe sollte das Herzstück der Finanzmarkt-Reform werden: eine Steuer auf Aktien, Anleihen und Derivate. Doch das ehrgeizige Vorhaben steht auf wackeligen Füßen. Zwar haben die beiden Finanzminister aus Frankreich und Deutschland, Pierre Moscovici und Wolfgang Schäuble (CDU), nun die Einführung der umstrittenen Finanztransaktionssteuer in Brüssel beantragt

Brüssel. Die Abgabe sollte das Herzstück der Finanzmarkt-Reform werden: eine Steuer auf Aktien, Anleihen und Derivate. Doch das ehrgeizige Vorhaben steht auf wackeligen Füßen. Zwar haben die beiden Finanzminister aus Frankreich und Deutschland, Pierre Moscovici und Wolfgang Schäuble (CDU), nun die Einführung der umstrittenen Finanztransaktionssteuer in Brüssel beantragt. Ob sie damit durchkommen, ist jedoch fraglich.Nachdem sich schon global nicht genügend Unterstützer gefunden hatten, winkten auch etliche EU-Mitgliedstaaten ab. Vor der Sommerpause waren noch zehn wackere Befürworter dabei. Neun sind notwendig, um die so genannte "verstärkte Zusammenarbeit", also eine Umsetzung im kleinen Kreis von EU-Ländern, zu ermöglichen. Großbritannien, Schweden, die Niederlande, Finnland und Irland hatten sofort abgewinkt. Nun scheinen auch Rom und Madrid unsicher zu werden. Sollten sie, wie befürchtet wird, bei der nächsten Sitzung der Euro- und EU-Finanzminister am 8. Oktober ebenfalls aussteigen, wäre die Abgabe wohl tot.

"Wir stehen noch mit einer Reihe von Regierungen in Verhandlungen", sagte am Wochenende der Pariser Europaminister Bernard Cazeneuve. Ob dabei etwas Handfestes herauskommt, ist offen. Paris und Berlin wollen mit ihrem Vorpreschen EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta zwingen, einen Vorschlag zu präsentieren, der dann den Kassenhütern vorgelegt werden müsste. Für die Annahme wäre eine qualifizierte Mehrheit nötig. Die scheint nicht in Sicht.

Dabei sind die Motive der Widerständler höchst unterschiedlicher Natur. London fürchtet, dass nach der Einführung einer solchen Steuer die Anleger in Staaten ausweichen, die keine Abgabe erheben. Einige skandinavische Mitgliedstaaten haben bereits eine Finanztransaktionssteuer, deren Einnahmen aber in den eigenen Etat fließen. In Brüssel sinniert die EU-Kommission nämlich darüber, die erhofften 57 Milliarden Euro pro Jahr dem Haushalt der Gemeinschaft gutzuschreiben, um die Beiträge der Länder entsprechend senken zu können. Die Verhandlungen über die kommende Finanzperiode 2014 bis 2020, für die bisher Forderungen von 1,1 Billionen Euro auf dem Tisch liegen, gestalten sich nämlich schwierig. Da könnte so ein "Bonbon" gut tun. Deshalb hatte Präsident José Manuel Barroso auch vorgeschlagen, Aktien und Anleihen mit einem Satz von 0,1 Prozent zu besteuern, Derivate mit 0,01 Prozent. Der Hintergedanke: Mit diesem Instrument würde der Finanzmarkt an den Kosten beteiligt, die er in der Krise verursacht hatte.

Unklar ist nun, wie sich Rom und Madrid verhalten. Die spanische Regierung bemüht sich verzweifelt, seine Banken zu retten und dabei ohne Hilfen des Rettungsschirms ESM auszukommen, damit der eigene Haushalt nicht von der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds kontrolliert wird. Rom dagegen fordert intensivere Unterstützung im Kampf gegen die hohen Zinsen durch die Euro-Partner. In beiden Fällen mauert vor allem die Bundesregierung. Es ist deshalb denkbar, dass beide Regierungen ihr Ja zur Finanztransaktionssteuer als willkommenes Druckmittel nutzen wollen, um Erleichterungen im Ringen gegen die Schuldenkrise durchzusetzen.

Meinung

Wenn die Angst regiert

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Niemand bestreitet ernsthaft, dass die Finanzmarktsteuer geeignet sein könnte, um Anleger an den Kosten der Krise zu beteiligen, die sie selbst verursacht haben. Trotzdem sind die Aussichten für eine Einführung schlecht. Denn es regiert die Angst vor dem Verlust attraktiver Finanzplätze, wenn die Branche auf andere Staaten ausweicht, in denen man ohne Abgabe Geschäfte machen kann. Tatsächlich macht die Steuer nur Sinn, wenn sie überall erhoben wird. Nun kann sich nicht einmal Europa darauf verständigen. Das macht den Alleingang von wenigstens neun EU-Ländern zu einem Risiko. Wenn eine Regierung sich darauf einlässt, dann nur wegen des erhofften politischen Gewinns: Niemand will vor den Wählern als Lügner dastehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort