Film außer Kontrolle

Frankfurt · Mal fantastisch, mal komisch, mal beängstigend: Die Schau „Bewusste Halluzinationen - Der filmische Surrealismus“ zeigt Ausschnitte aus Filmen der 20er und 30er. Die Ausstellung im Deutschen Filmmuseum läuft bis zum 2. November.

 In „La Perle“ fasziniert Kissa Kouprine als Schmuckdiebin, ihr Anzug erinnert an das Vampirkostüm von Stummfilmstar Musidora. Regie führte 1929 Henri d'Ursel. Fotos: La Cinémathèque Royale de Belgique

In „La Perle“ fasziniert Kissa Kouprine als Schmuckdiebin, ihr Anzug erinnert an das Vampirkostüm von Stummfilmstar Musidora. Regie führte 1929 Henri d'Ursel. Fotos: La Cinémathèque Royale de Belgique

 Skurril: Eine Szene aus „Monsieur Fantômas“ von Ernst Moerman aus dem Jahr 1937.

Skurril: Eine Szene aus „Monsieur Fantômas“ von Ernst Moerman aus dem Jahr 1937.

Sie scheuten Logik und Orientierung wie der Teufel das Weihwasser und haben so das Tor zwischen Traum und Realität völlig aus den Angeln katapultiert: Luis Buñuel und Salvador Dalí schufen 1929 mit "Ein andalusischer Hund" einen der kongenialsten surrealistischen Filme . Irre, kreative und unvereinbare Bilder folgen aufeinander - bloße Spaßfahrt ist das Werk aber nicht. Gleich in der Eingangsszene wird ein Auge mit einem Rasiermesser zerschnitten. Schließlich packten die Surrealisten die Rezipienten nicht in Watte, sondern konfrontierten sie mit Unbehagen und Urängsten.

Das Verdienst der Schau im Filmmuseum in Frankfurt ist aber nicht, die surrealistischen Großmeister Buñuel und Dalí neu zu thematisieren. Sondern, dass sie halb vergessene Filmperlen wieder ans Licht bringt und die Internationalität dieser Kunstrichtung verdeutlicht. Denn dem Surrealismus verschrieben hatten sich - neben den beiden berühmten Spaniern und dem französischen Schriftsteller André Breton - viele europäische, aber auch asiatische sowie nord- und südamerikanische Künstler. Sie hatten Breton im Paris der 20er Jahre kennengelernt, gründeten danach Künstlergruppen, organisierten Ausstellungen - und drehten Filme .

Der surrealistische Film arbeitet mit Nahaufnahmen, Montagen und Zeitlupen. Da zeigt sich, wie frisch die alten Streifen sind: Noch heute werden beim Betrachter absurde Assoziationen provoziert und die üblichen Mechanismen der Wahrnehmung angegriffen. Der polnische Film "Przygoda czlowieka poczciwego" (Die Abenteuer eines braven Mannes, 1937) von Stefan und Franciszka Themerson setzt das um, indem er mit ungewöhnlichen Kameraperspektiven und Bildausschnitten arbeitet: Radfahrer rollen senkrecht durchs Bild, Menschen laufen rückwärts. Der Amerikaner Joseph Cornell hingegen schnitt 1936 konventionelle Hollywood-Dramen neu und ließ die Protagonistin in "Rose Hobart" unruhig durch die Dekore wandeln - ihre Rastlosigkeit wird getreu dem surrealistischen Prinzip der Unlogik nicht aufgelöst: Filme schauen ähnelte für die Surrealisten dem Träumen. Ein fantastisches Titelblatt einer Zeitschrift setzte der Brasilianer Mário Peixoto 1931 in "Limite" in Filmbilder um. Film, Foto und Collage beeinflussten sich in dieser Stilrichtung gegenseitig.

Die Schau zeigt auch Fotocollagen von Künstlern wie dem Tschechen Karel Teige, dem Briten Humphrey Jennings oder dem Serben Vane Bor: So verwirren den Betrachter eine Frau mit Beckenknochen-Kopf im U-Bahn-Schacht, eine riesige Art-Nouveau-Dose am Bernina-Pass oder George Sand mit Dalí-Bärtchen. So unlogisch wie die Hüte, die in Hans Richters Film "Vormittagsspuk" (1928) im Schwarm umherfliegen oder wie Groucho Marx' Gag mit seinem verselbstständigten Spiegelbild in "Duck Soup" (1933). Doch die gewollte Unlogik fern jeglicher Kontrolle durch die Vernunft bannten die Surrealisten nicht zum Selbstzweck auf Papier oder Zelluloid. Es ist wichtig, dass die Schau daran erinnert. Galt doch der Surrealismus als eine Revolution, "gegen die Zwänge des Realismus, zum anderen gegen das wichtigtuerische Monopol der abstrakten Malerei", schrieb der US-Galerist Julien Levy 1936. Kirche, Staat, Bürgertum und Nationalismus waren die Feindbilder der Surrealisten. Durch Filme , Collagen und Bilder steckten sie auch die klassischen Künste mit ihrer Subversion an.

Die Filmreihe zur Schau zeigt die fünf Fantômas-Filme von Louis Feuillade (25., 27., 29. und 31. Juli). Infos unter deutsches-filminstitut.de oder Tel. (0 69) 9 61 22 02 20.

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