Farbenspiele von hypnotischer Schönheit

Metz · Wieder zeigt im Metzer Centre Pompidou eine Schau die Welt von oben. Noch mehr als die Fotos begeistern bei „Rêves d'Icare“ die wunderbaren Filme: Mit hypnotischer Kraft erzählen sie vom wuchernden Städtebau und vom rasanten Leben in den Ballungszentren.

 Blick auf Santa Monica in Kalifornien: Ausschnitt aus Charles und Ray Eames' Kurzfilm „Powers of Ten” von 1977. Foto: Eames Office

Blick auf Santa Monica in Kalifornien: Ausschnitt aus Charles und Ray Eames' Kurzfilm „Powers of Ten” von 1977. Foto: Eames Office

Foto: Eames Office

Im Sommer 2013 lockte die Ausstellung "Vues d'en haut" ("Der Blick von oben") eine Menge Besucher in das Centre Pompidou nach Metz. Mit rund 500 Werken ging die Schau der Frage nach, wie die Vogelperspektive die Wahrnehmung von Künstlern beeinflusst hat. Nun legt die wesentlich kleinere Fortsetzung "Rêves d'Icare" (deutscher Titel: "Der Traum vom Fliegen") noch bis zum 24. März den Fokus auf das 20. Jahrhundert.

Luftfotografien zeigen Berlin in den 1920er-Jahren, Filmaufnahmen aus dem Heißluftballon die verwüsteten französischen Schlachtfelder nach dem Ersten Weltkrieg. Wieder vertreten sind Fotos von Margaret Bourke-White, der ersten weiblichen Kriegsberichterstatterin in der US-Armee. Und so sind ihre, vor allem in der Zeitschrift "Life" veröffentlichen, ästhetisch-experimentellen Luftbildfotos nicht frei von Propaganda: Bourke-White fotografierte die im Zweiten Weltkrieg bombardierten Städte Mainz und Nürnberg oder die stark beschädigte Krupp Gussstahlfabrik in Essen.

Einer der Höhepunkte der Schau ist Rob Carters Animationsfilm "Metropolis", den er 2008 über die amerikanische Stadt Charlotte anfertigte. Dabei wird die Stadt zur Pop-up-Papier-Collage: Luftbilder, Stop-Motion und Scherenschnitte zeigen den ungezügelten Städtebau. Je nach Wirtschaftslaune und gesellschaftlichem Bedarf schieben sich in Zeitraffer Häuser, Hochhäuser, höhere Hochhäuser, Stadien und noch größere Stadien ins Stadtbild, Viertel rollen sich am Zentrumsrand wie Teppiche aus. Jahrzehnte dauerndes Wachsen der Stadt wird in dem Zehnminüter zum optisch-rasanten Erlebnis.

Ebenfalls faszinierend anzusehen ist der Film "Koyaanisqatsi" als erster Teil einer Trilogie von Godfrey Reggio. Der Titel ist einer Apocalypse-Geschichte der Hopi-Indianer entlehnt und kann mit "Leben im Ungleichgewicht" übersetzt werden. Die Kamerafahrten aus der Vogelperspektive reihen in Zeitraffer wuselnde Fußgänger, dichten Straßenverkehr, hektische Fabrikarbeit, gesprengte Berghänge, einen Atompilz sowie eine brennende Rakete aneinander. Das ist eine mitunter ziemlich beliebige Fortschrittskritik. Allerdings besitzt der wortlose Film mit seinen poetischen Zeitraffer- und Slow-Motion-Folgen ein hohes hypnotisches Potenzial. Starken Anteil daran trägt die Musik des Amerikaners Philip Glass. Glass komponierte nicht nur Opern, ("Einstein on the Beach"), Klavierkonzerte und Sinfonien, sondern auch Musik für erfolgreiche Filme ("Die Truman Show", "The Hours"). "Koyaanisqatsi" wurde 1982 realisiert, mitproduziert hat ihn der damals bereits berühmte Regisseur Francis Ford Coppola ("Der Pate"). Die kommerzielle Filmindustrie war dem Luftbild, oder vielmehr der Akrobatik in den Lüften, allerdings schon sehr viel früher verfallen: Eine kuriose Szene des US-Musicals "Flying Down to Rio" von 1933 zeigt eine Reihe Starlets, die auf einem fliegenden Doppeldecker tanzen.

Zu dem Bunde der betörenden Filme gehört auch "Pays Messin" von Yann Arthus-Bertrand. Aus dem Hubschrauber hat der französische Fotograf und Umweltschützer Metz und das Metzer Land gefilmt. Die keinesfalls unerwartete, doch angenehme Feststellung des Bilderfluges: Die Spielplätze der Vororte, die Fontänen von Springbrunnen im Zentrum und die blühenden Obstbäume im Landschaftsgarten von Laquenexy - von oben sieht dies alles einfach ganz anders aus. Ein Diaporama von Metzer Luftbildaufnahmen zwischen den Jahren 1925 und 2009 gibt einen weiteren Einblick in die Entwicklung der lothringischen Stadt. Einige Luftfotografien Arthus-Bertrands und des Amerikaners Alex MacLean zeigen die Magie der Natur in Kenia oder das Eingreifen des Menschen in die Landschaft Nordamerikas - von oben ein Farben- und Strukturspiel von hypnotischer Schönheit.

Bis zum 24. März. Infos unter Tel. +33 (0)3 87 15 39 39 oder im Internet: www.centrepompidou-metz.fr.

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