Fantastische Welten

Hamburg. Alles begann mit einem sommerlichen Bootsausflug im Jahre 1862. Charles Lutwidge Dodgson, Dozent für Mathematik am Christ Church College in Oxford, unternahm mit Alice, Edith und Lorina, den befreundeten Kindern des Dekans, eine Fahrt auf dem Flüsschen Isis

Hamburg. Alles begann mit einem sommerlichen Bootsausflug im Jahre 1862. Charles Lutwidge Dodgson, Dozent für Mathematik am Christ Church College in Oxford, unternahm mit Alice, Edith und Lorina, den befreundeten Kindern des Dekans, eine Fahrt auf dem Flüsschen Isis. Zu deren Unterhaltung erzählte er eine kleine Geschichte von dem Mädchen Alice, das im Traum in eine fantastische Welt gelangt. Die damals zehnjährige echte Alice war von dieser Geschichte so fasziniert, dass sie Dodgson bat, diese aufzuschreiben. Kurz vor Weihnachten des Jahres 1864 war es so weit: Dodgson überreichte dem Mädchen ein liebevoll gestaltetes und illustriertes Büchlein mit dem Titel "Alice's Adventures Underground".Von nun an begann eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Bereits 1865 entschloss sich Dodgson, der sich als Schriftsteller Lewis Carroll nannte, eine überarbeitete und ergänzte Version des Buches auf den Markt zu bringen. Da er seinen eigenen zeichnerischen Fähigkeiten nicht traute, tat er sich mit dem Zeichner John Tenniel, dem Illustrator des berühmten Londoner Satire-Magazins "Punch", zusammen. Eine literarische Erfolgsgeschichte sondergleichen nahm ihren Lauf. Kinder wie Erwachsene in ganz Europa waren von den Abenteuern, die das kleine Mädchen in der fantastischen und durchaus auch bedrohlichen Welt zu bestehen hatte, begeistert. Deren Bewohner, Humpty Dumpty, die Grinsekatze, das weiße Kaninchen und der Schildkrötensupperich, gelangten zu allgemeiner Bekanntheit.

Die Hamburger Kunsthalle zeigt jetzt in der Ausstellung "Alice - Im Wunderland der Kunst", wie sich die fantastische Erzählung quasi von Anfang an und bis hinein in die unmittelbare Gegenwart im Werk bildender Künstler niedergeschlagen hat. Auf einem abwechslungsreichen Parcours sind rund 200 Werke von über 70 bildenden Künstlern sowie Film- und Theaterregisseuren zu sehen. Von Buchillustrationen über Zeichnungen, Gemälde, Fotografien bis hin zu Theaterkostümen, Filmen, Videos und Rauminstallationen versammelt die Schau eine überwältigende Fülle unterschiedlichster Exponate.

Die intelligent verschachtelte Erzählung, die weit über die üblichen Inhalte eines Kinderbuches hinausweist und grundsätzliche Fragestellungen der Logik, der Sprachphilosophie und der Erkenntnistheorie auf humorvolle und ironische Art und Weise verhandelt, hat insbesondere auch die Surrealisten inspiriert. Unter anderem zu sehen sind Werke von Max Ernst, Salvador Dalí, Dorothea Tanning, René Magritte und Richard Oelze. Die traumhaft-ambivalente Erfahrungswelt der kleinen Alice voller Wunderwesen, Symbolgestalten und Metamorphosen lieferte den Surrealisten eine Art Grundfolie für ihre von Träumen und Alpträumen inspirierten Bildwelten.

Auch Künstler der jüngeren Generation wie Pipilotti Rist, Douglas Gordon, Kiki Smith, Stephan Huber oder Luc Tuymans sind in der prominent besetzten Schau mit größeren Arbeiten vertreten. Pipilotti Rists Installation "Das Zimmer" von 1994, ein Wohnzimmer mit überdimensionierten, roten Sitzmöbeln, entführt auch erwachsene Besucher in eine unmittelbar erfahrbare Gegenwelt, in der sich wie in "Alice im Wunderland" die Größenmaßstäbe von Raum und Objekten kräftig verschoben haben. Auch wer Monika Sosnowskas Türenlabyrinth betritt, macht ganz unmittelbar die Erfahrung, wie es sich anfühlt, in eine verschachtelte Welt hinter den offiziell zugänglichen Räumen der Ausstellung zu gelangen.

Premiere hatte diese sehenswerte Ausstellung im Winter 2011/12 in der Tate Liverpool. Für die Hamburger Kunsthalle ist sie stark überarbeitet und um zahlreiche Sammlungsbestände und weitere Leihgaben ergänzt worden. "Alice - im Wunderland der Kunst" ist für alle, die sich auch nur einen Funken ihrer eigenen Kindheitsfantasie erhalten haben, ein visuelles und gleichzeitig intellektuell unterfüttertes Fest voller Absurditäten, Paradoxien und fantastischer Erscheinungen.

 So klein wie Alice im Wunderland fühlen sich verwunderte Besucher der Installation "Das Zimmer" (1994) von Pipilotti. Foto: Pipilotti Rist und Hauser & Wirth Phot

So klein wie Alice im Wunderland fühlen sich verwunderte Besucher der Installation "Das Zimmer" (1994) von Pipilotti. Foto: Pipilotti Rist und Hauser & Wirth Phot

Bis 30. September 2012. Di-So: 10-18 Uhr. Do: 10-21 Uhr.

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