Facetten eines Diktators

Saarbrücken · Biografien des Nazi-Diktators Adolf Hitler polarisieren nicht selten. Auch der kürzlich erschienene erste Band von Volker Ullrichs Hitler-Biografie mit dem Titel „Die Jahre des Aufstiegs“ wird bereits jetzt kontrovers diskutiert.

Als die erste Hitler-Biografie erschien, war Hitler bereits Reichskanzler. Das ganze Ausmaß der Katastrophe, die er über Europa bringen sollte, war noch nicht zu erkennen. Aber der jüdische Sozialdemokrat Konrad Heiden warnte in seiner 1936/37 im Züricher Exil erschienenen, kürzlich wieder aufgelegten Biografie bereits eindringlich vor diesem Mann. Alle späteren Biografien hatten sich mit den unfassbaren Verbrechen Hitlers auseinanderzusetzen. Alan Bullock (1952), Joachim Fest (1973) und Ian Kershaw (1998/2000) haben politische Biografien geschrieben, die aus einer inzwischen unübersehbaren Flut von Einzeluntersuchungen zu mittlerweile als gesichert anzusehenden Erkenntnissen gelangten. An der Kernfrage, wie es zu dieser von Deutschland ausgehenden Katastrophe kommen konnte, versuchen inzwischen etliche Historiker ihre Urteilskraft.

Eine moderne persönliche Biografie, die nicht die politischen Ereignisse, sondern den Menschen Adolf Hitler ins Zentrum stellt, hat nun Volker Ullrich in einem ersten Band "Die Jahre des Aufstiegs 1889 bis 1939" vorgelegt. Seit über 20 Jahren ist er Leiter des Ressorts "Politisches Buch" der "Zeit". Der Historiker Ullrich schreibt eine biografische Montage aus flüssig verbundenen Zitaten, die sich zu einem gut lesbaren Lebensbild der ersten Wirkungszeit des Diktators zusammenfügen. Die Zäsur, mit der der erste Band plausibel endet, ist der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Gleichsam im Vorgriff benutzt Ullrich zahlreiche "Führermonologe" Hitlers als Quelle für die Zeit vor dem Krieg. Die Quellenlage für das Persönliche, für den Menschen Adolf Hitler ist unübersichtlich und bislang nicht so gut wie die politischen Ereignisse quellenkritisch aufgearbeitet. Das leistet auch Ullrich nur teilweise.

Schon der erste Band der Hitlerbiografie hat bereits kurz nach seinem Erscheinen eine heftige Kontroverse unter Historikern ausgelöst, die nicht nur an der Beurteilung biografischer Details ansetzt, sondern auch auf methodische Schwächen des Buches hinweist. Etwa die Einschätzung, welche Rolle der Erste Weltkrieg auf das spätere Leben Hitlers gehabt hat. Er selbst hatte ja seine Kriegserlebnisse vollständig in den Dienst der Propaganda gestellt. Natürlich hat er dabei seine "Heldentaten" herausgestrichen. Aber es gab schon frühe Stimmen, die eher auf seine weniger heldenhaften Beiträge im Stellungskrieg im Westen hinwiesen. Der 1929 erschienene Tatsachenroman "Pflasterkästen" von Alexander Moritz Frey, der als Sanitätsunteroffizier im selben Regiment wie Hitler diente, könnte als eines der wenigen Zeugnisse unmittelbar Beteiligter helfen, Hitlers Soldatenzeit näher zu beleuchten. Das Buch wird bei Ullrich nicht, der Autor nur beiläufig erwähnt. Die große biografische Monografie von Thomas Weber, "Hitlers erster Krieg", wird mit einem Nebensatz abgeschmettert. So sollte man mit einem wichtigen Detail der persönlichen Biografie Hitlers nicht umgehen.

Viele andere Passagen sind aufschlussreich und erzählen den politischen Kontext zu den einzelnen Lebensabschnitten Hitlers. So entsteht so etwas wie die Hitlerbiografie für die heutige Generation. Der Journalist Ullrich schlägt dem Historiker manchmal ein Schnippchen, wenn er statt einer Begründung seiner Einschätzung eine verbale Bekräftigung verwendet: ein Brief Hitlers vom 16.9.1919 könne "mit Fug und Recht als das Schlüsseldokument zu seiner Biographie" betrachtet werden. Warum eigentlich? An anderer Stelle folgt - kaum überzeugend begründet - eine Kernaussage: "Der Biergartenagitator, der sich gern einen volkstümlichen Anstrich gab, war im Grunde ein Verächter der Massen, in denen er nichts anderes als ein manipulierbares Werkzeug seines politischen Ehrgeizes sah." Besser durch Zeitzeugen belegt sind die Aussagen, Hitler sei im Grunde ein "Bohemien" oder sein linkisches Auftreten sei der "Furcht des Parvenüs" geschuldet gewesen, nicht ganz für voll genommen zu werden. Ausführlich werden sein gewinnendes Wesen beschrieben. Für die Erforschung der Persönlichkeit könnte das Kapitel "Hitler und die Frauen" besonders aufschlussreich sein. Die Zusammenfassung der wenigen von Zeitzeugen bekundeten Beziehungen lassen nur den Schluss eines durch Unsicherheit geprägten Verhältnisses zu Frauen zu.

Hitler hatte es immer abgelehnt, sich einem Psychiater vorzustellen, so dass es lediglich Einschätzungen von Laien gibt, aus denen man schlecht auf seine Persönlichkeitsstruktur schließen kann. Die entscheidende Qualität der Biografie ist die Offenlegung der vielen Bestandteile, aus denen sich das vielbeschworene "Charisma" Hitlers zusammensetzte. Die rhetorische Begabung, sein schauspielerisches Talent, sein ansteckender Fanatismus und die Mannigfaltigkeit seiner Selbstdarstellungen und Herrschaftsinszenierungen sind schon oft genannt worden. Ullrich beschreibt und belegt sie im Detail und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erklärung des Phänomens Hitler.

Volker Ullrich: Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs

S. Fischer, 1083 S., 28 Euro.

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