Europa, zerrissen

Meinung · Strafen sollen wehtun. Doch ihr erzieherischer Wert liegt eher in der Androhung als im Vollzug. Vor diesem Dilemma steht Europa. Natürlich macht es wenig Sinn, so weiterzumachen wie bisher. Seit Einführung des Euro gab es knapp 50 Defizit-Strafverfahren wegen unsolider Haushaltsführung. Bestraft wurde niemand. Das soll und wird sich ändern

Strafen sollen wehtun. Doch ihr erzieherischer Wert liegt eher in der Androhung als im Vollzug. Vor diesem Dilemma steht Europa. Natürlich macht es wenig Sinn, so weiterzumachen wie bisher. Seit Einführung des Euro gab es knapp 50 Defizit-Strafverfahren wegen unsolider Haushaltsführung. Bestraft wurde niemand. Das soll und wird sich ändern. Aber ändert das etwas? Nur langsam dämmert den Betroffenen, dass es wenig Sinn ergibt, einem an der Grenze zur Pleite stehenden Staat auch noch eine Millionenstrafe aufzubrummen. Prävention muss tiefer gehen. Doch die Union ist wirtschaftlich zerrissen. Löhne, Kaufkraft, Sozialsysteme, Produktionskosten - in allen Punkten klaffen die Indikatoren der Mitgliedstaaten so weit auseinander, dass man sich fragen muss, wie sie überhaupt einen gemeinsamen Binnenmarkt installieren konnten. Es fehlt somit nicht nur an Haushaltskontrolle und Strafandrohung für den Fall, dass der Euro-Stabilitäts- und Wachstumspaktes verletzt wird. Es mangelt an gleichen Rahmenbedingungen für den Wettbewerb - nicht nur zwischen den noch rückständigen Ökonomien im Osten und den fortgeschrittenen im Westen. Die Lösung scheint mit der Idee einer Wirtschaftsregierung gefunden, die natürlich nicht regieren, sondern bestenfalls die Leistungskraft vergleichen und beratende Hinweise geben darf. Doch wer sich das Gezerre um die notwendige Verschärfung des Euro-Pakts ansieht, fragt sich, wie dieser viel weiter gehende Schritt jemals gelingen kann. Zu tief sitzen die Ängste vor Bevormundung der einen durch die anderen Staaten. In einer der wichtigsten Fragen dieser Union denkt jeder zuerst an sich und zu wenig gemeinschaftlich. Dabei belegt nicht zuletzt diese Krise: Solide Haushaltsführung ist ein Garant für Stabilität, wenn es hart auf hart kommt. Aber die Rückkehr zu Disziplin beim Umgang mit der Staatskasse reicht allein nicht aus, um wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Voraussetzungen dafür sind Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit. Die allerdings liegen mit einer schwer angeschlagenen Unternehmenslandschaft in weiter Ferne. Das ist das Problem Griechenlands, Spanien, Portugals, Irlands . . . Europa wird also lernen müssen, dass Krisen-Intervention etwas anderes ist als Prävention und Gesundung. Dafür aber braucht die Gemeinschaft mehr Einigkeit - nicht nur über Strafen, einen reformierten Euro-Pakt und eine neue Finanzmarkt-Aufsicht. Sie braucht einen Aufbruch, der die Wettbewerbsfähigkeit aller nach vorne bringt. Sonst bleibt die Union so, wie sie heute ist: Ein paar stabile Volkswirtschaften trotzen jeder Herausforderung, viele andere geraten ins Wanken. Und geholfen ist niemandem.

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