Europa-Experte Lüder Gerken: „Die Krise köchelt vor sich hin“

Das in Freiburg ansässige „Centrum für europäische Politik“ versteht sich als Denkfabrik, aber auch als Mahner für einen ordnungspolitischen Kurs in Europa. Sein Vorsitzender, der 55-jährige Wirtschaftswissenschaftler Lüder Gerken, hält den Euro noch nicht für gerettet. Vor allem aus Frankreich droht im Jahr 2014 Gefahr, erläuterte er SZ-Korrespondent Werner Kolhoff.

Ist die Euro-Krise überwunden? Spanien und Irland haben ja die Rettungsprogramme bereits verlassen können.

Gerken: Wir befinden uns in einer Phase relativer Ruhe, doch sollte die nicht täuschen. Die eigentlichen Probleme sind nicht gelöst. Die Beruhigung liegt derzeit vor allem daran, dass die Europäische Zentralbank (EZB) zugesagt hat, sie werde Staatsanleihen notfalls unbegrenzt ankaufen. Das ist aber keine Lösung der Überschuldungskrise. In Griechenland und Zypern sind die Probleme weiterhin akut und gravierend.

Die Rettungsschirme erwirtschaften sogar Gewinne. Mindestens das ist doch ein gutes Zeichen.

Gerken: Natürlich kann es vorübergehend durch die Kreditprogramme auch Zinserträge geben. Aber es ist keineswegs sicher, dass Griechenland zum Beispiel seine Kredite auch in Zukunft pünktlich zurückzahlen kann. Dann hätte man erhebliche Ausfälle. Derzeit rettet man sich, in dem man die Laufzeiten der Kredite verlängert und die Zinsen absenkt. Also, ob die Rettungsschirme am Ende unter dem Strich Gewinne machen, möchte ich eher in Frage stellen.

Wie hoch schätzen Sie das Risiko für Frankreich ein, das bereits von den Ratingagenturen herabgestuft wurde?

Gerken: Frankreich ist neben Italien das Land, das mir am meisten Sorgen macht. Es ist die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone. In Frankreich werden die notwendigen Reformen seit Jahren verschleppt. Die Regierung hat zum Teil offenbar noch gar nicht erkannt, wie dringend Reformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes sind. Stattdessen greift man Deutschland zunehmend wegen seiner Wettbewerbsfähigkeit an, geht also gar nicht mehr davon aus, aufschließen zu können. Aber selbst wenn die Regierung es anders sehen würde, sie wäre angesichts zu erwartender massiver Proteste und ihrer eigenen Schwäche gar nicht in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. In Italien sehe ich auch keine Fortschritte.

Welche Folgen wird das in diesem Jahr haben?

Gerken: Frankreich ist nicht in der dramatischen Lage wie Griechenland. Wir haben aber bereits eine deutlich spürbare Erosion seiner Kreditwürdigkeit. Das Land befindet sich auf einer schiefen Ebene. Solange die Investoren glauben, ein Land sei kreditfähig, ist es auch kreditfähig. Das kann sich dramatisch ändern, sobald daran Zweifel wachsen.

Drohen Gefahren aus dem Bankensektor?

Gerken: Man wird sehen, welche Ergebnisse der sogenannte Stresstest zeigen wird, den die EZB 2014 durchführen will. Ich glaube, dass einige Banken betroffen sein werden, die dann erheblichen Kapitalbedarf haben.

Kanzlerin Angela Merkel hat gleich bei der ersten Regierungserklärung nach ihrer Wiederwahl mehr Verbindlichkeit der Reformanstrengungen in Europa angemahnt. Ist das die richtige Strategie?

Gerken: In jedem Fall. Ich fürchte nur, sie wird sich damit nicht durchsetzen, denn das wollen die romanischen Staaten und Griechenland genau nicht. Sie wollen nicht zu Reformen gezwungen werden, und sie wollen sich nicht selbst verpflichten, Reformen durchzuführen. Das entspricht nicht ihrem Interesse und im Übrigen auch nicht der politischen Kultur in diesen Ländern.

Kommt die Euro-Krise 2014 also mit Macht zurück?

Gerken: Nicht mit einer Explosion. Sie wird eher weiter vor sich hinköcheln. Und irgendwann wird die erklärte Bereitschaft der EZB und auch Deutschlands, alles zu tun, um den Euro zu halten, dann in Anspruch genommen werden.

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