„Europa erlebt eine neue industrielle Revolution“

Die Industrie kann künftig in Verbindung mit dem Internet zahlreiche neue Dienstleistungen anbieten. Diese ermöglichen viel individuellere Produkte für jeden Einzelnen. August Wilhelm Scheer, Chef der Scheer-Group, zeigt auf der Cebit, was sich alles verändert. Mit ihm sprach SZ-Redakteur Thomas Sponticcia.

 August W. Scheer. Foto: Scheer

August W. Scheer. Foto: Scheer

Foto: Scheer

Die weltgrößte Computermesse Cebit steht im Zeichen der vierten industriellen Revolution, kurz Industrie 4.0. Was ist gemeint?

Scheer: Unternehmen verändern sich mit zahlreichen technologischen Sprüngen von Grund auf. Das Internet zieht in die Fabriken ein. Gleichzeitig entstehen neue Produkte sowie Mischungen zwischen Produkten und Dienstleistungen in Verbindung mit dem Internet. Industrie-Unternehmen werden mehr zu Dienstleistern und denken nach, wie sie Kunden mit neuen Techniken neue Angebote machen können. So entstehen neue Geschäftsmodelle, die es erlauben, Produkte viel stärker auf individuelle Bedürfnisse zuzuschneiden.

Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Scheer: Nehmen Sie die Autoindustrie und das Beispiel Car to go. Der Autohersteller verkauft künftig nicht mehr sein Produkt direkt an den Endkunden, sondern er übernimmt das Fahrzeug-Management. Er verkauft die Mobilität als Dienstleistung. Der Kunde bestellt ein Auto, nutzt es, aber er kauft es nicht mehr. In der Medizintechnik werden Hersteller großer medizinischer Geräte, wie etwa Dialyse-Systeme zur Behandlung von Nierenpatienten, die Dialysestationen selbst betreiben. Sie erhalten per Internet ständig Informationen über das Verhalten ihrer Geräte wie Laufzeitverhalten, Energieverbrauch, Präzision. Diese sind für alle Geräte weltweit vergleichbar. Man kann sie so jederzeit optimieren und Wartungsarbeiten ausführen. Alle Prozesse bringen eine enorme Datenflut mit sich, da die Daten sekündlich anfallen.

Individuellere Produkte mit Hilfe neuer technischer Möglichkeiten: Wie weit kann das gehen?

Scheer: Heute sind Schuhgrößen normiert. Man hat zum Beispiel Größe 39, aber persönliche Gegebenheiten wie etwa ein Senkfuß sind nicht berücksichtigt. Sporthersteller können Laufschuhe viel individueller produzieren. In viel mehr Farben und Größen, für jeden Kunden passgenau. Das bringt neue Materialien und Produktionsverfahren mit sich. Wir erleben in Europa eine Re-Industrialisierung. Solche Produkte können in Massenanfertigung nicht mehr in Asien angefertigt werden. In Folge intelligenter Informationstechnologien entsteht eine Vielfalt an Innovationen, Geschäftsmodellen, Prozessen und Abläufen. Zunächst bei konsumnahen Produkten, von denen der Einzelne profitiert, bis zur stärkeren Individualisierung der Industrie in fast allen Branchen.

Was ist die schnellste Änderung?

Scheer: Das Aufkommen neuer Dienstleistungen rund um das Produkt herum. Von Wartungsaufgaben über das Verkaufen bis hin zum Betreiben von Geräten. So arbeiten zum Beispiel auch Scheer Group und die Saarbrücker Zeitung an der Entwicklung neuer Dienstleistungen für den Leser. Ich erwarte, dass in Service-Bereichen auch viele neue Unternehmen entstehen. Mit diesen Dienstleistungen wird man schon in den nächsten Jahren Milliardenumsätze machen.

Die Technologien erfordern auch neue Formen von Datensicherheit.

Scheer: Man kann in Europa sogar ein Geschäft daraus machen, indem wir neue Systeme bauen, die neuesten Anforderungen an Datensicherheit und Datenschutz entsprechen. Das stärkt auch die deutsche IT-Industrie.

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