Es reicht nicht, Maßstäbe zu finden, man muss sie auch leben können

Saarbrücken. Die Untertitel der einzelnen Kapitel wecken Erwartungen - etwa "Wie es kommt, dass ich mich manchmal wie ein kleines Arschloch fühle?" oder "Warum ich früher in die Kirche ging und heute in den Wertstoffhof". Umso mehr fällt auf, dass die Texte sie nicht immer einlösen. Je länger man dies Buch liest, umso mehr begreift man auch, warum das so ist

Saarbrücken. Die Untertitel der einzelnen Kapitel wecken Erwartungen - etwa "Wie es kommt, dass ich mich manchmal wie ein kleines Arschloch fühle?" oder "Warum ich früher in die Kirche ging und heute in den Wertstoffhof". Umso mehr fällt auf, dass die Texte sie nicht immer einlösen. Je länger man dies Buch liest, umso mehr begreift man auch, warum das so ist. Und warum dies nicht einmal das Schlechteste ist, weil Ehrlichkeit in den seltensten Fällen dazu angetan ist, Eindeutigkeiten zu liefern (und damit den penetranten Zwang des Sachen-auf-den-Punkt-Bringens).

Axel Hacke, langjähriger Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" und inzwischen erfolgreicher Kolumnist und Buchautor ("Das Beste aus meinem Leben") und Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der "Zeit" und TV-Talkshow-Moderator, sind seit vielen Jahren befreundet und vergewissern sich in einer dialogischen Textstruktur ihres persönlichen Wertekanons. "Wir haben nie darüber gesprochen, an welche Werte wir glauben und für welche Werte wir einstehen würden", umreißt Hacke im Vorwort das Motiv ihres Projekts.

Nicht unberechtigt ist mithin die Rezeptionswarnung, die beide voranstellen: Dass hier ein großer Bogen um die inflationäre Ratgeberliteratur gemacht wird. Weil Moralisierungen ihnen aus gutem Grund ein Gräuel sind. Denn sind unsere Werte, um die es in "Wofür stehst Du?" geht, nicht selbst so sehr Verallgemeinerungspostulate (Gerechtigkeit, Frieden, Mitmenschlichkeit), dass sie immer erst am Einzelfall ihr wirkliches Gesicht zeigen? Dass Bekennermut nicht unbedingt zu den Stärken der Generation der heute 40- und 50-Jährigen zählt, der beide angehören, hat nicht nur damit zu tun, dass im Kontext der 68er-Bewegung vielfach als restaurativ empfundene Positionen der Elterngeneration konterkariert wurden, sondern auch mit der Einsicht in die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse. In ihnen liegt anderes näher: ein Aus- und Anprobieren von Haltungen oder fortwährendes Abwägen und Hinterfragen. Während es Hacke sichtlich leichter fällt, Persönliches durchaus auch selbstkritisch ("Könnte ich etwas tun ohne Aussicht auf Beifall?") offenzulegen - dem Gestus des Buches folgend, das eigene Leben als einen Bei-mir-war-das-so-Steinbruch zu nehmen - , behält di Lorenzo in seinen deutsch-italienischen Familiengeschichten mehr Selbstdistanz. Erst gegen Ende, als er von seinem Halt im Glauben erzählt, ändert sich dies.

Je älter er werde, bekennt Hacke, umso weniger fühle er sich in politischen Themen kompetent - nicht zuletzt deshalb, weil sie ihn zusehends langweilen. Di Lorenzo ist genau dies ganz und gar fremd; er verteidigt die Profession des Politikers, dem man heute vorwerfe, was man an sich selbst nicht leiden könne: Geiz-Geilheit und Macht-Gier. Das miese Image der Politik gründet für ihn in der tatsächlichen Komplexität der Strukturen, die Geradlinigkeit verhinderten. Wären da nicht die vielen, sich im Kreise drehenden Lebensanekdoten, die beide ausbreiten, ließe sich dieses Buch ohne Einschränkung als Handreichung dazu empfehlen, es den Autoren gleichzutun und im Privaten diesen Diskurs über Vorbilder - zum Beispiel über Menschen, die auf selbstlose Weise helfen - fortzuführen.

Axel Hacke/Giovanni di Lorenzo: Wofür stehst Du? Was in unserem Leben wichtig ist - eine Suche. Kiepenheuer & Witsch, 231 Seiten, 18,95 €

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