"Es ist keine Rettung in der Welt vor der Welt"

Saarbrücken

Saarbrücken. Schon mit "Die Chronik der Sperlingsgasse" gab Wilhelm Raabe seiner Enttäuschung über die politische Entwicklung nach den verlorenen Kämpfen von 1848 Ausdruck: "O ihr Dichter und Schriftsteller Deutschlands, sagt und schreibt nichts, euer Volk zu entmutigen! Scheltet, spottet, geißelt, aber hütet euch, jene schwächliche Resignation, von welcher der nächste Schritt zur Gleichgültigkeit führt, zu befördern oder gar sie hervorrufen zu wollen." Raabe, der sich auch wegen seines schulischen Scheiterns früh als Außenseiter empfand, musste sich als Autodidakt erarbeiten, was seine Altersgenossen in regulären Studiengängen gelernt hatten. Das hat ihn geprägt, und es hat lange gedauert, bis er seine Unsicherheit gegenüber dem arrivierten Milieu ablegen konnte. Die Atmosphäre im nachrevolutionären Preußen während seiner Jahre in Magdeburg und später als Gasthörer an der Philosophischen Fakultät in Berlin hatte er als drückend empfunden. Einen Ausweg suchte er zeitweise in der nationalliberalen bürgerlichen Bewegung, kehrte aber immer wieder zu seiner durch Literatur und Philosophie bestimmten Vorstellung von der gesetzmäßigen und notwendigen Entwicklung hin zu einem "vernünftigen", humanistischen Zustand zurück. Immer wieder geht es Raabe in seinem späteren Werk um den Zwiespalt zwischen Mehrheit und Außenseitertum. In den acht Stuttgarter Jahren hat Raabe seine "großen Zeitromane" verfasst, an erster Stelle den "Hungerpastor". Der Roman wurde, so der Raabe-Biograph Werner Fuld, "als Lehrbuch des jüdischen Charakters gelesen". Man schenkte es zur Konfirmation oder zum Schulabschluss, seit 1933 wurde es als Schullektüre empfohlen, "wegen der klaren Sonderung jüdischen und deutschen Wesens". Ein Antisemit war Raabe vermutlich nicht. Aber er nutzte die in seiner Zeit gängigen Vorurteile gegen die Juden. Obschon er sich zu einem erfolgreichen Schriftsteller entwickelte, neigte er immer häufiger zu Depressionen. Trost fand er vor allem bei Schopenhauer, dessen Skeptizismus und Pessimismus es ihm immer schon angetan hatten. Die Alltagssorgen drückten ihn, seine Ehe war nicht die glücklichste. Nach dem Umzug nach Braunschweig - wo auch sein Kriminalroman "Stopfkuchen" entstand, den er selbst als sein bestes, unverschämtestes Werk bezeichnete - wurde sein Leben durch den Tod der jüngsten Tochter erschüttert, wovon er sich nie mehr erholte. Am 15. November 1910 ist er gestorben. wos

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