„Es ist faszinierend, hinter die Kulissen der Masse zu schauen“

In seiner bewegenden Dokumentation „Drachenmädchen“ porträtiert Inigo Westmeier Schülerinnen, die im chinesischen Kampfkloster „Shaolin Tagou“ ausgebildet werden. Der Film lebt von beeindruckenden Bildern und einer unaufgeregten Erzählweise. Er lief im Wettbewerb des diesjährigen Ophüls-Festivals, nicht wenige sahen ihn als Favoriten. Doch am Ende ging Westmeier leer aus. Nun erscheint „Drachenmädchen“ auf DVD. SZ-Redakteur Johannes Kloth hat mit dem Filmemacher gesprochen.

Das Leben von Schülerinnen in einer chinesischen Kung-Fu-Schule - ein ziemlich abseitiges Thema für einen deutschen Dokumentarfilmer. Wie kamen Sie darauf?

Westmeier: Ich habe selbst mal Kung Fu gemacht, hier in Deutschland. Eines Tages kam Besuch aus dem Shaolin Tempel, dem Ursprungstempel des Kung Fu. Darunter war ein Kind, das die Wand hoch und wieder runter laufen konnte. Als Kamermann hat mich das fasziniert, wie so etwas geht, ohne digitale Effekte. Ich bin dann mit den Mönchen ins Gespräch gekommen, das war der erste Impuls.

Um die 30 000 Schülerinnen und Schüler werden an der Shaolin Tagou trainiert. Eine unvorstellbare Zahl. Haben Sie bewusst die größte Kung-Fu-Schule Chinas für Ihren Film gewählt?

Westmeier: Ich hatte mir zuerst kleinere Schulen angeschaut, dann die große. Zuerst war ich skeptisch, dachte aber, dass es gerade faszinierend ist, diese Riesenmasse zu zeigen und hinter die Kulissen zu schauen. Mich hat dieses System fasziniert, in dem der ganze Tagesablauf vorgeplant ist. Hier drei Individuen zu finden und zwischenmenschliche Geschichten zu erzählen, das war die Herausforderung.

Ihnen sind starke Bilder gelungen, die den Kampfsport zeigen, aber auch dieses unmenschliche System aus Zucht und Drill.

Westmeier: Dieser Kontrast war auch für mich das Faszinierende. Die kleinen Mädchen, ihr Kampfsport, und ihr realer Kampf, aus der Armut herauszukommen.

Wie ist es Ihnen gelungen, dass die Mädchen so offen sprechen vor der Kamera?

Westmeier: Ich habe versucht, schon im Vorfeld drei Mädchen auszuwählen, bei denen ich das Gefühl hatte, dass sie offen reden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es schwierig ist, in Asien Menschen zu finden, die einfach so ihre Gefühle zeigen. Dazu kam die Sprachbarriere, die es nicht einfacher machte. Aber ich hatte die Fragen zusammen mit einer Psychologin sehr gut vorbereitet.

Hat der Staat das gedrehte Material anschließend gesichtet?

Westmeier: Während des Drehs war immer jemand vom Staat und von der Schule dabei, die haben zugeschaut. Anfangs noch ganz genau, nach dem dritten Tag legte sich dann die Aufregung. Man braucht eben Geduld.

Der Film zeigt auch den Leiter der Schule, der stolz die Härte der Ausbildung preist. Haben die Mädchen später tatsächlich die tollen Berufschancen, von denen der Schulleiter spricht?



Westmeier: Die meisten gehen später zum Militär oder zur Polizei, manche werden auch selbst Trainer. Ich habe mit ganz kleinen Mädchen gesprochen, die davon träumen, Schauspielerin zu werden, ganz ähnlich wie bei uns. Ich habe allerdings keine einzige gefunden, die es tatsächlich wurde. Trotzdem bedeuten selbst Berufe bei Polizei und Militär vom Rang und Verdienst für die Kinder einen sozialen Aufstieg.

Beim Ophüls-Festival sind Sie leer ausgegangen. Enttäuscht?



Westmeier: Man ist immer etwas enttäuscht, wenn man nicht gewinnt. Vor allem, weil ich so viel Geld in den Film investiert habe. Beim Publikum kam der Film allerdings sehr gut an

Erschienen bei Polyband, als DVD und Blue-ray.

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