"Es ist eine Leistung, etwas nicht zu tun"

Sie nehmen mit drei Projekten am Kulturhauptstadtjahr teil. Verstehen Sie sich als Störfaktor?Winter: Meine Taktik ist es, die Schubumkehr zu nutzen. Ich will die ohnehin genervte Bevölkerung nicht mit meiner Kunst nerven, sondern mit den Leuten an Utopien von Freiheit arbeiten. Es wird nichts von ihnen verlangt, das schärft die Wahrnehmung der eigenen Situation

 "Die Dauerreizung zermürbt, wir wollen den Menschen Erholung bieten", sagt Winter. Foto: Dietze

"Die Dauerreizung zermürbt, wir wollen den Menschen Erholung bieten", sagt Winter. Foto: Dietze

Sie nehmen mit drei Projekten am Kulturhauptstadtjahr teil. Verstehen Sie sich als Störfaktor?

Winter: Meine Taktik ist es, die Schubumkehr zu nutzen. Ich will die ohnehin genervte Bevölkerung nicht mit meiner Kunst nerven, sondern mit den Leuten an Utopien von Freiheit arbeiten. Es wird nichts von ihnen verlangt, das schärft die Wahrnehmung der eigenen Situation.

Ein Projekt wider die Reizüberflutung, ist Ihr "Space of Total Retreat", der Ende August auf dem Essener Kopstadtplatz aufgebaut wird. Was ist da geplant?

Winter: Der "Space of Total Retreat" ist ein urbaner Rückzugsraum auf einem belebten Platz. Er besteht aus drei Teilen: Schirmraum, Pufferraum und Kernraum. Der Kernraum soll Platz für bis zu drei Testpersonen bieten. Dort ist man von sämtlichen urbanen Reizen isoliert: Der Raum ist klar strukturiert, schalldicht und ohne Fenster. Es wird Liegeflächen geben, Wasser und Essen. Sonst nichts. Der Mensch soll auf seine momentane Situiertheit zurückgeworfen werden.

Damit wollen Sie die Leute von der täglichen Überreizung befreien?

Winter: Das Projekt ist ein Modellversuch. Die Dauerreizung zermürbt die Menschen, wir wollen ihnen Erholung bieten. Man muss dafür nicht aufs Land, der "Space of Total Retreat" bietet genau diesen Rückzugsraum.

Was ist Ihre Botschaft?

Winter: Ich möchte zu ausgelassener Gelassenheit und gelassener Ausgelassenheit aufrufen. Man sollte nicht ständig Angst haben, etwas zu versäumen. Es ist eine Leistung, etwas nicht zu tun, zum Beispiel Geld zu finden und es nicht aufzuheben. Andererseits braucht die Gesellschaft auch immer wieder Aufbrüche - allerdings nicht nur bei inszenierten Massenveranstaltungen.

Viele kritisieren, das Programm der Kulturhauptstadt ziele zu sehr auf solche Groß-Events ab. Denken Sie, dass Kunst auch auf Massenveranstaltungen erfahrbar sind?

Winter: Kunst kann man als Individuum besser aufnehmen, weil in der Masse die Feinheiten einer Differenz untergehen. Die Auseinandersetzung mit Kunst ist ein individueller Prozess. Bei der Kulturhauptstadt sehe ich die Gefahr, dass auf dieses eine Jahr ein riesiger Erwartungsdruck gelegt wird und nicht auf Nachhaltigkeit geachtet wird.

Wie ließe sich Ihrer Meinung nach Kunst und Kultur für die breite Bevölkerung interessant machen?

Winter: Wichtig ist, dass sich Leute aus eigener Motivation beteiligen, die Angebote mit gestalten und nicht ständig nur bespaßt werden. Deshalb ist Kontinuität im Kulturprogramm so wichtig: Nicht es einmal groß knallen lassen und dann werden später die Theater geschlossen.

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