"Es ist an der Zeit, ernsthafter zu werden"

Vor dem Hotel im Frankfurter Rotlichtviertel steht in der Kälte ein Mann im T-Shirt. Er wirkt nicht fremd dort, wo er steht, ist für eine Frühverrentung schon zu alt, für einen Asketen zu rund und für einen Weisen zu quirlig. Salvoj iek (62) wartet auf seinen Interviewpartner und kommt dann in einem ungastlichen Besprechungsraum gleich zur Sache. Er propagiert einen für das 21

Vor dem Hotel im Frankfurter Rotlichtviertel steht in der Kälte ein Mann im T-Shirt. Er wirkt nicht fremd dort, wo er steht, ist für eine Frühverrentung schon zu alt, für einen Asketen zu rund und für einen Weisen zu quirlig. Salvoj iek (62) wartet auf seinen Interviewpartner und kommt dann in einem ungastlichen Besprechungsraum gleich zur Sache. Er propagiert einen für das 21. Jahrhundert tauglichen Kommunismus.Auf die klassische Frage Lenins "Was tun?" bricht der Vulkan für eine Stunde aus. Ohne Luft zu holen, immer wieder nervös an seinem T-Shirt zupfend, legte er seine geistreichen und an Vernunft appellierenden Fährten aus. Schnell war die Entscheidung über die Interviewsprache geklärt: Als Direktor des Institute for Humanities in London liegt ihm das Englische jetzt näher als das Französische, das er während seines Studiums bei einem Lacan-Schüler in Paris und seiner Ausbildung zum Psychoanalytiker beherrschen gelernt hat.

In kräftigen Zügen schwimmt dieser aus Slowenien stammende Philosoph und Kulturkritiker, der als einer der Wortführer der Occupy-Bewegung gilt, gegen den Mainstream. Mit einem Federstrich fegt er das alles widerlegende 20. Jahrhundert beiseite, um die "ewige Idee" des Kommunismus in unserer gegenwärtigen historischen Situation neu zu erfinden. Es geht um sein unlängst erschienenes Buch "Die bösen Geister des himmlischen Bereichs", dessen Untertitel den Geist des Werks besser trifft: "Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert".

In vier Kapiteln geht es iek um die Wiederbelebung des utopischen Kerns eines Kommunismus, in dessen angemaßtem und verwässertem Namen im 20. Jahrhundert Schindluder mit der Idee getrieben wurde. Seine Abrechnungen mit den Fehlern des eben nicht real existierenden Sozialismus fallen nicht weniger scharf aus als die mit dem zynischen globalen Kapitalismus. Aus dem Scheitern dieser beiden Leitmodelle der vergangenen 150 Jahre gewinnt er nicht etwa einen Mittelweg als das geringere Übel. Er arbeitet sich mit intellektuellem Witz und revolutionärem Ernst an Heidegger wie an Stalin, an Robespierre wie Mao ab, dessen Anhänger, den befreundeten französischen Philosophen Badiou, er mit solidarischem Spott überzieht.

Mit der Aufforderung "Von Anfang beginnen" überschreibt er das letzte Kapitel seines Buches und schließt mit der Botschaft: "Habt keine Angst, kommt zurück und macht bei uns mit. Ihr habt euren antikommunistischen Spaß gehabt und er sei euch verziehen - aber jetzt ist es an der Zeit, wieder ernsthaft zu werden!" Mit seinem eigenen sittlichen Ernst lässt er in seinem kultur- und gesellschaftskritischen Buch vier apokalyptische Schauplätze erkennen, auf denen sich der linke Kampf zu bewähren haben werde: die ökonomische wie die ökologische Herausforderung, die Frage nach der biologisch-anthropologischen Originalität des Menschen und seine unübersichtlich gewordene IT-Disposition. Ein kluges Buch voller zwingender radikaler Gedanken - überraschend! Er signiert es mit einer deutschen Widmung und entschwindet zu einem seiner - wie immer - hörsaalfüllenden Vorträge.

Slavoj iek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs - Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Frank Born. S. Fischer, 335 Seiten, 22,95 €

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