Erwacht aus tiefem Schlaf

Fénétrange. Mit einer Erbschaft lassen sich Träume erfüllen. Die einen kaufen sich vielleicht ein chices Auto, andere machen eine Reise, wieder andere legen das Geld auf die hohe Kante. Bettina Hanstein gab ihre von der Oma geerbten 30 000 Euro für eine alte, bröckelnde Synagoge im lothringischen Fénétrange aus

 Blick in die bis 1979 genutzte Synagoge. Fotos: André Mailänder

Blick in die bis 1979 genutzte Synagoge. Fotos: André Mailänder

Fénétrange. Mit einer Erbschaft lassen sich Träume erfüllen. Die einen kaufen sich vielleicht ein chices Auto, andere machen eine Reise, wieder andere legen das Geld auf die hohe Kante. Bettina Hanstein gab ihre von der Oma geerbten 30 000 Euro für eine alte, bröckelnde Synagoge im lothringischen Fénétrange aus. Und weil die nur im Doppelpack mit dem alten Bauernhaus daneben zu haben war, über dessen Stall sie gebaut ist, kaufte Bettina Hanstein das alte, ebenfalls marode Bauernhaus gleich mit. "Ich war völlig fasziniert von dem Raum", erinnert sie sich. Das war vor acht Jahren. Und ja, ein bisschen irre sei das schon gewesen, räumt sie lachend ein. Denn was tun mit einer alten Synagoge? "Ich hatte auf Anhieb die Vision, aus diesem geschichtsträchtigen Raum ein Kulturzentrum zu machen", sagt die Kultur-Managerin, die als Pressesprecherin der Donlon Dance Company am Staatstheater arbeitet und gerade ihre Elternzeit nutzt, um ihr Herzensprojekt voranzubringen. Wer durch die Rue du Vieux Pensionnat im verwunschenen Fénétrange schlendert, würde hinter der unscheinbaren Fassade des Reihenhauses Nr. 13 niemals ein jüdisches Gotteshaus vermuten. Nur zwei hohe Fenster weisen auf die architektonische Besonderheit des Gebäudes hin, das rechts an ein altes Mädchenpensionat und links an besagtes Bauernhaus angrenzt. Die alte Holz-Eingangstür ist so morsch, dass sie fast auseinanderzufallen scheint. Überall bröckelt der Putz, tun sich Risse auf. Es riecht modrig, alt. Man betritt einen langen gefliesten Gang, der hinauf in die Synagoge führt - vorbei an einem Schulzimmer mit großer Wandtafel und wunderschönen Holz-Pulten mit Tintenfässern in der Mitte, die wahrscheinlich aus den 30ern stammen. "Da ist noch getrocknete Tinte drin", so Hanstein. Es sind die kleinen Details, die vielen Entdeckungen beim genauen Hinsehen, die den Ort lebendig machen. Beim Saubermachen mit freiwilligen Helfern habe man zum Beispiel alte Namensinschriften an den Wänden entdeckt. Besonders schön ist auch das schmiedeeiserne Gitter auf der Frauen-Empore mit seinen Rosettenformen. "Es ist, als erwache die Synagoge jetzt aus ihrem Dornröschchen-Schlaf." Ihre genaue Bauzeit ist ungeklärt, es dürfte aber in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewesen sein. 1836 wurde sie umgebaut, 1866 dann erweitert. Es gab eine große Renovierung 1920/21. Entwidmet wurde sie 1979. Bettina Hanstein hat viel selbst recherchiert und herausgefunden, dass ihre Synagoge in der Region in ihrer Form einzigartig ist. Die Programmdirektorin des Jüdischen Museums in Berlin war so angetan von dem Engagement der 38-Jährigen, dass sie anbot, eine Internet-Verlinkung auf der Museumsseite zu installieren. Unterstützt wird die Saarbrückerin auch vom französischen Generalkonsul im Saarland, Philippe Cerf, der Bürgermeisterin von Fénétrange und vielen begeisterten Freunden und Bekannten. Die gut vernetzte Pressefrau geht ihr Projekt auf hohem Niveau an. Dafür konnte sie Profis gewinnen: Der Fotograf André Mailänder hat die Architektur der Synagoge nicht nur dokumentiert, sondern auch künstlerisch beleuchet. Kommunikationsdesigner Ralf Leis (der Macher des "ViertelVor"-Heftes) konzipierte den Internet-Auftritt. Typograf und Grafikdesigner Patrick Bittner entwarf Logo, Plakat und Flyer. Der Saarbrücker Architekt Igor Torres ("baubar") berät Hanstein bei der behutsamen Restaurierung. Für die gilt es nun, Mittel zu akquirieren. "Mit der Ausstellung will ich auch mögliche Partner und Förderer erreichen", so Hanstein. Um die grenzüberschreitende Idee ihres Engagements zu transportieren, soll die Ausstellung an anderen Orten in Deutschland und Frankreich gezeigt werden, zum Beispiel in der Landesvertretung in Berlin. In einem zweiten Schritt könnte ein deutsch-französisches Forschungsprojekt über die jüdische Gemeinde Fénétranges entstehen, hofft sie. Dazu will Hanstein Kontakt zu den Unis in Saarbrücken, Nancy und Metz aufnehmen. Mittelfristig könnte die Synagoge ein Ort für interkulturelle Jugend-Workshops werden. "Wo sonst kann man Geschichte so gut vor Ort erfahren und begreifen?". Geplant ist auch, eine Dauerausstellung einzurichten. Und so dürfte es nie langweilig werden, wenn Bettina Hanstein Urlaub macht in ihrem Bauernhaus in Fénétrange.

 Das Gitter der Frauen-Empore.

Das Gitter der Frauen-Empore.

 Bettina Hanstein.

Bettina Hanstein.

Auf einen BlickDie Foto-Ausstellung von André Mailänder eröffnet diesen Sonntag, dem "Europäischen Tag der jüdischen Kultur" in der Synagoge von Fénétrange. Weitere Besichtigungstermine: 12. 9. und 18./19. 9., jeweils von 10 bis 18 Uhr. Arbeiten des Saarbrücker Foto-Künstlers sind auch ab Freitag im Saarlandmuseum zu sehen ("Fotosynthesen - Fotografische Arbeiten von Joachim Lischke und André Mailänder").Unter jecjlorraine.canalblog.com finden sich Angebote rund um die jüdische Kultur in Lothringen (Konzerte, Lesungen, Vorträge, zu besichtigende Synagogen). Mehr über die Synagoge und Fénétrange erfährt man unter www.synagogue-fenetrange.org red

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