Erst kommt das Schaffen, dann kommen die Seilschaften

Alfred Holighaus konnte es sich nicht verkneifen, einen Kalauer an den Anfang zu stellen: "Auf Spielfilm I folgt Hartz IV." Um dazu überzuleiten, dass Thomas Schadt (Filmakademie Ludwigsburg) "das Problem jedes Jahr mit in die Welt" setze. Weil die sieben Filmhochschulen zu viele Regisseure ausbilden? Das dürfte niemand bezweifeln

Alfred Holighaus konnte es sich nicht verkneifen, einen Kalauer an den Anfang zu stellen: "Auf Spielfilm I folgt Hartz IV." Um dazu überzuleiten, dass Thomas Schadt (Filmakademie Ludwigsburg) "das Problem jedes Jahr mit in die Welt" setze. Weil die sieben Filmhochschulen zu viele Regisseure ausbilden? Das dürfte niemand bezweifeln. Dennoch muss man nicht soweit gehen wie der Regisseur Matthias Glasner, der jüngst im Filmmagazin "Schnitt" polemisierte, die beste Filmförderung bestehe in der Abschaffung der Hochschulen.Auch ohne Glasner war es eine muntere Runde, die im Rahmen der Ophüls-Branchentage unter Holighaus' launiger Moderation über das Thema "Debüt! - und dann?" sprach: Neben Schadt der langjährige Produzent und Leiter des Kinofests Lünen, Michael Wiedemann; ZDF-Redakteur Jörg Schneider (Das kleine Fernspiel); Bernd-Günther Nahm von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) sowie Regisseur Till Franzen ("Die blaue Grenze", 2006) und Produzent Alexander Bickenbach. Letzterer wies gleich auf einen fundamentalen Unterschied bei Zweitfilmen hin: Ihre Etats stiegen, im Vergleich mit den im Schutzraum der Akademien entstandenen Debüts, "ins Unermessliche". Vor fünf Jahren hätten Diplomfilme noch 50 000 bis 80 000 Euro gekostet. Hausnummern, über die man heute nur lachen kann.

Was aber folgt daraus, dass die Entlassung aus dem Hochschul-Biotop (und die wegfallende Betreuung durch Dozenten und womöglich koproduzierende Redaktionen) eine Sollbruchstelle markiert? Dass die Ansprüche danach steigen, die Gangart härter wird. Weil Sender mehr verlangen (etwa weniger Drehtage bei größeren Produktionen). Schadt riet, während des Studiums ein Netzwerk aufzubauen und tief in den Markt (auch in kommerzielle Sender) hineinzuriechen. Also zu tun, was Bickenbach "Bandenbildung" nennt: Seilschaften zu suchen, die womöglich ein Regieleben lang halten: "Seilschaften sind unser Kapital."

Wiedemann war es, der zu recht darauf hinwies, dass die Misere des zweiten Films die des zweiten Kinofilms sei. Der Fernsehmarkt bietet nun mal wesentlich mehr Möglichkeiten. Und ein Auskommen, dauert doch die Kino-Realisierung im Regelfall vier bis fünf Jahre. "Das Geschäftsmodell Kinoregisseur" funktioniere einfach nicht, warnte Binkelbach. Nur bei etwa einer Hand voll Regisseure geht es auf. 80 von 100 Kinofilmen in Deutschland hätten weniger als 10 000 Zuschauer, rechnete der Frisbeefilms-Produzent vor. Das Arthouse-Kino, dem sich das Gros beim Ophüls-Festival antretenden Jungregisseure verschreibt, gerät also statistisch gesehen ziemlich in die Defensive.

Das aber ist nicht das einzige Problem, sondern auch die Dauer-Frustrationen, die man hinzunehmen bereit sein muss. Fünf Jahre auf den nächsten Film zu warten, "da rostet man ein", umriss Regisseur Till Franzen (38), was er "Trainingsverlust" nannte. Vielleicht hilft es da ja, wenn man das Fernsehen nicht verteufelt - und es nicht auf das Orchideenfach "Kleines Fernsehspiel" (KFS) reduziert. Der "kleine Fernspieler" Jörg Schneider machte kein Hehl daraus, dass er und seine Kollegen im Blick haben, ob sie den Nachwuchs womöglich auch "unseren 20.15 Uhr-Kollegen weiterempfehlen" können. Weil die KFS-Redaktion, die einst Fassbinder, Kluge oder Werner Schroeter protegierte, in der Regel nur Debüts- und Zweitfilme stützt, bricht das Redaktionsmodell alter Schule danach weg. Ein herber Verlust in einer Branche, in der Kontakte (fast) alles sind. Andererseits steigert eine KFS-Koproduktion (maximal gut 20 pro Jahr) die Chance auf eine Kinoauswertung erheblich: 320 000 Euro schießt man durchschnittlich dazu. Dennoch ist die Nischen-Redaktion des Zweiten in Zeiten von "Debüt im Dritten" und der (wenngleich stark auf die regionale Standortstärkung kaprizierten) Filmförderung der Länder längst nicht mehr der allein selig machende Zuschussgeber für Regisseure. Bernd-Günther Nahm (FFHSH) betonte, dass Filmförderung auch ein Steuerungsmittel sei, mit dem sich der "Hals dadurch enger machen" lasse, dass man bestimmte Regisseure gezielt fördere. Andererseits sei es mit dem Kunstfilm wie mit der Landwirtschaft, meinte Nahm: Beide existieren nur aufgrund der Subventionen.

"Charakterbildung" sei das Wichtigste in der Ausbildung, bekannte Thomas Schadt. Schon deshalb, "weil man den Mut zum Zweitfilm nur aus sich selbst schöpfen" könne. Was dadurch nicht leichter wird, dass Jungfilmer in ihr Debüt oft viel Persönliches hineinfließen lassen und danach längst nicht unbedingt wieder so schnell ein Thema finden. Für den Fall, dass doch, hatte Wiedemann am Ende noch einen guten Rat: "Forderungen an die Förderung zu stellen". Neigten die Förderinstitutionen doch dazu, nach bewährten Mustern zu verfahren, weshalb sie sich Neulingen schwerer öffneten. In Abwandlung von Holighaus' eingangs zitiertem Kalauer könnte man also auch sagen: Auf Film II folgt Problem III.

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