Erfolgsautorin Amélie Nothomb deutet Blaubart-Märchen neu

Solide Konstruktion, kunstvoller Spannungsaufbau und geistreiche Dialoge: Mit dem Roman „Blaubart“ beweist Amélie Nothomb einmal mehr literarische Klasse. Der Roman der belgischen Autorin ist ein modernes Märchen.

Amélie Nothombs Romane sind ingeniös konstruierte und gut geölte Maschinchen - wobei hier der Diminutiv keineswegs als Gewichtung verstanden werden soll. Er soll vielmehr auf den Umstand verweisen, dass die Bücher der in Paris und Brüssel lebenden Belgierin selten die 150-Seiten-Marke überschreiten. Was, nebenbei bemerkt, der äußeren Erscheinung der zart und zerbrechlich wirkenden Autorin entspricht, die zu allem Überfluss von der Krankheit Magersucht fasziniert ist, die man beinahe mit ihr selbst in Verbindung bringen könnte. Unter den Lesern der mithin nur im Umfang leichtgewichtigen Romane Nothombs, die pünktlich im Jahresturnus erscheinen (bisweilen sind es sogar zwei pro Jahr), dürften nicht wenige passionierte Krimi-Fans sein. Von "Die Reinheit des Mörders", ihrem ersten Buch, über "Kosmetik des Bösen" bis zu "Den Vater töten" verraten schon die Titel ihrer Bücher kriminalistisches Gespür.

Zur Untermiete bei Blaubart

Man ist in dieser Hinsicht also einiges von Amélie Nothomb gewöhnt, den Auftritt eines Massenmörders freilich gab es in ihren Büchern noch nicht. In "Blaubart", dem jüngsten Roman, wartet die junge Kunstdozentin Saturnine Puissant mit anderen Frauen in einem vornehmen Stadtpalais des 7. Pariser Arrondissements darauf, ein Zimmer zur Untermiete zu besichtigen. Als einzige Interessentin weiß sie nicht, dass die früheren acht Untermieterinnen von Don Elemirio allesamt spurlos verschwunden sind. Als ihre Sitznachbarin, die wie die anderen Wartenden eigentlich nur einmal den geheimnisumwitterten Eigentümer sehen möchte, ihr davon erzählt, ist sie erstaunt. Doch lehnt sie aber, als dessen Wahl ausgerechnet auf sie fällt, nicht ab: Das Wohnambiente ist allzu traumhaft. Sie zieht bei dem exzentrischen Spanier ein, der entpuppt sich als hinterwäldlerischer spanischer Grande mit verschrobenen Ansichten - wie der, dass die mittelalterliche Feudalordnung die ideale Staatsverfassung sei.

Koch, Schneider, Mörder?

Gleich zu Beginn spricht Don Elemirio ein Tabu aus: Auf keinen Fall dürfe sie einen Raum, den er als Dunkelkammer bezeichnet, betreten. Saturnine wittert ein schauerliches Geheimnis - und liegt, wie sich später herausstellt, damit nicht einmal falsch. Doch weil sich ihr unheimlicher Vermieter nicht nur als vorzüglicher Koch, sondern als begabter Schneider entpuppt, der ihr ein geradezu himmlisches gelbes Kleid näht; weil seine Manieren im Übrigen auch tadellos sind, verliebt sie sich ihn. Und beruhigt sich zuletzt bei dem Gedanken, sie verdächtige ihn möglicherweise ganz zu Unrecht.

Wie es sich in Wahrheit verhält und wie die Geschichte ausgeht, sei hier nicht verraten. Nur soviel: Erst der letzte Satz des Buches enthüllt vollends, dass das Buch kein Roman ist, als der es deklariert wird, sondern ein modernes Märchen . Schon die Anspielung auf Perraults Märchen "La barbe bleue" im Titel weist ja in diese Richtung. Auch mit diesem Buch enttäuscht Amélie Nothomb ihre Leser keineswegs. Und stellt in der soliden Konstruktion, im kunstvollen Spannungsaufbau und den geistreichen Dialogen aufs Neue ihre literarische Klasse unter Beweis.

Amélie Nothomb: Blaubart. Diogenes Verlag, 143 Seiten, 18,90 Euro.

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