Endstation Sehnsucht

Martin Walser, der renommierte Lustwandler vielfältiger Ausdrucksmöglichkeit, legt mit diesem Briefroman, der sich zum E-Mail-Roman entwickelt, erneut ein Paradestück der "Leichtigkeitsschwere" vor

Martin Walser, der renommierte Lustwandler vielfältiger Ausdrucksmöglichkeit, legt mit diesem Briefroman, der sich zum E-Mail-Roman entwickelt, erneut ein Paradestück der "Leichtigkeitsschwere" vor. Die Hauptfigur Basil Schlupp lernt bei einem Empfang des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue die evangelische Theologin Maja Schneilin kennen, deren Mann Korbinian bei dieser Festlichkeit für seine Arbeit auf dem Gebiet der Molekular-Biologie geehrt wird. Schlupp, dessen jüngstes Buch "Strandhafer" in aller Munde ist, kann den Blick von Maja Schneilin nicht wenden. Also Liebe auf den ersten Blick. Aber nur von seiner Seite. Beide liefern sich nach der ersten - von ihrer Seite etwas spröden - Begegnung einen Briefwechsel, der von Mal zu Mal, zumindest von seiner Seite, furioser und dringlicher wird.

In schönster Walser-Prosa breitet sein Alter Ego die ungelebten Träume einer nie zufriedenzustellenden Liebesbedürftigkeit aus. Die Unmöglichkeit der Anpassung von Lebensverhältnissen, die in vermeintlichen Ehe-Kerkern eingesperrt sind, wird im Verlauf der Korrespondenz zunehmend von beiden Briefpartnern ignoriert. Schlupp steigert sich dramatisch gemäß Walsers Lebensmotto - "Im Verlieren macht man wichtigere Erfahrungen als beim Gewinnen", unterschreibt die Briefe an das Objekt seiner Liebesbegierde mit "Ihr Nominierter", "Ihr Anempfinder", "Ihr heute Ausgelieferter" oder nur kurz "Der Verratssüchtige". Maja, die "liebe Maestra", antwortet mit gleicher Münze dem "lieben Vorwurfsfreudigen" als "Ihre Teilhaftige". Womit beide schon einige Teilerfolge für sich verbuchen können. Ein liebender Mann, eine liebende Frau, aber gebunden in ihrer traditionellen Beziehungswelt. Was für ein Drama!

"Gelegenheit macht Liebe", heißt es. Das erinnert an Walsers Goetheroman "Ein liebender Mann", in dem der 73-Jährige "ohne Hoffnung auf Hoffnung" um die 19-jährige Ulrike von Levetzow wirbt: "Meine Liebe weiß nicht, dass ich über 70 bin. Ich weiß es auch nicht." Jetzt aber im "13. Kapitel" geht es recht ekstatisch zu, was auch daran liegt, dass hier zwei Wortakrobaten agieren, die in ihrer Ausdruckswelt eine gemeinsame Frequenz finden, die nur außerhalb des Alltäglichen zu gebrauchen ist. Das trifft auch auf das Paar selbst zu. Es kann seine Beziehung moralisch nur rechtfertigen, wenn sie unmöglich bleibt. Die Liebeskorrespondenz zwischen dem Schriftsteller und der Theologin kreist nicht zuletzt eben auch um das Walser seit langem beschäftigende Thema der "Rechtfertigung". Sie schreibt ihm, sie habe "noch nie einen solchen Paulus-Jünger erlebt" , und sie selbst sei auch schon zu diesem "raffiniertesten Apostel überhaupt" geflohen. Majas geistlicher Mentor ist erkennbar der Theologe Karl Barth, der Gott den unbekannten Gott nannte, an den "man nur ohne Hoffnung auf Hoffnung hin glauben könne".

Damit treten wir wieder in den Walserschen Kosmos ein, in dem das Bedürfnis nach Glauben, das Ringen um Wahrhaftigkeit den thematischen Grundriss dieses Autors bezeugen, der stets beteuert, über den Mangel, über das, was ihm fehle, zu schreiben. Basil Schlupp, ebenso wie Maja "gut verheiratet", denkt trotz alledem Sachen, die er nicht sagen kann. Mit ihm und mit seiner Briefpartnerin passiert etwas, was in ihr normales Leben nicht hineingehört. Deswegen können sich beide Dinge schreiben, die man sich eigentlich nur im stillen Selbstgespräch sagt. In diesem Selbstgespräch gesteht sich Basil Schlupp auch ein, dass Iris, seine Frau, der "Fluchtweg in meinem einkrachenden Einbildungsgebäude" sei. Und dennoch geht der E-Mail-Verkehr mit Maja Schneilin weiter, die mit ihrem nach einer Krebs-Operation wieder genesenden Korbinian als "liebe Verschwundene" nach Kanada aufgebrochen ist. Man ist einander vertrauter denn je. Sie: "Dass ich Dir schreibe wie eh und je, das muss - wie ungern gestehe ich das - das Weibliche sein in mir, das da den Ausschlag gibt." Und er antwortet als "Ihr grundlos Übermütiger", "Dein von der Aussichtslosigkeit Geblendeter" und zuletzt als "Dein Freund".

Martin Walser verdanken wir mit diesem Roman erneut eine elegante Etüde über das Scheitern menschlicher Sehnsucht und ihrer Gewissenserkundung.

Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel. Roman. Rowohlt, 272 Seiten, 19,95 Euro.

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