Wiens Jung-Kanzler in Brüssel Eine misstrauische EU empfängt Kanzler Kurz

BRÜSSEL Auch wenn die neue Bundesregierung in Wien am heutigen Dienstag formell gesehen noch gar nicht im Amt ist, hält es den frisch gebackenen Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht in der österreichischen Hauptstadt. Brüssel lautet sein Ziel. Dort will der 31-Jährige gleich an seinem ersten Arbeitstag bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk auf einen „Verlängerten“ (österreichisch für Mokka mit doppelter Wassermenge) vorbeischauen. Dass das mehr als nur ein einfacher Antrittsbesuch des jüngsten Regierungschefs Europas wird, weiß Kurz selbst. Zu groß ist die Skepsis gegenüber seinem Regierungsbündnis mit der rechtsnationalen FPÖ.

„Die Europäische Union ist nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft“, hat ÖVP-Chef Kurz seinem Arbeitsprogramm vorangestellt – und FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache unterschreiben lassen. Dennoch bleibt Brüssel zurückhaltend: „Demokraten, die an europäische Werte glauben, müssen ein wachsames Auge auf die neue Koalition in Österreich haben“, twitterte Währungskommissar Pierre Moscovici. Jener weiß, wovon er redet: Der Mann ist Franzose und hat jahrelange Auseinandersetzungen mit Front-National-Chefin Marine Le Pen hinter sich, die die Regierungsbildung in der Alpenrepublik triumphierend feierte.

Tatsächlich wird das schwarz-blaue Wiener Bündnis alle Hände voll zu tun haben, den Verdacht eines europapolitischen Kurswechsels in die Ecke der EU-Skeptiker auszuräumen. Der Kanzler hat sich auf einen Partner eingelassen, dessen Bündnistreue keineswegs unumstritten ist. Schließlich sitzt die FPÖ im EU-Parlament in einer Fraktion mit dem Front National und dem niederländischen EU-Gegner Geert Wilders zusammen. Ungarns Premierminister Viktor Orbán, der sich hartnäckig und mit allen populistischen Tricks gegen die Flüchtlingspolitik der EU ausspricht, philosophiert schon offen über einen möglichen Schulterschluss mit dem neuen Amtskollegen in Wien. In Brüssel sollen nun Minister der gleichen FPÖ am Auf- und Ausbau der Gemeinschaft mitwirken – wie passt das zusammen?

Sicher, auch Kurz zeichnete sich immer durch pointierte Stellungnahmen aus, die von nationalen Tönen durchsetzt waren. Seine sehr aktive Rolle bei der Schließung der Balkanroute, von der die offeneren EU-Partner allerdings profitiert haben, ist noch in Erinnerung. Dass am Brennerpass zu Italien bereits wieder Bagger auffuhren, um neue Kontrollstationen zu errichten, dass die abgewählte Wiener Regierung eine Obergrenze für Einwanderer erließ – all das geschah unter maßgeblicher Mithilfe des bisherigen Außenministers Kurz. Dennoch hat er sich nun einen Partner gesucht, der ihm zusätzliche Probleme bereiten dürfte. Nun bekommt es die EU unter anderem mit einer zwar parteilosen, aber FPÖ-nahen Außenministerin zu tun, die öffentlich über die deutsche Willkommenskultur schimpfte. Kein Wunder, dass die EU-Spitze die neue konservativ-rechte Allianz fürchtet.

Doch die Gemeinschaft erinnert sich auch an das Jahr 2000. Damals kam es nach den Wahlen zu einer Koalition der Jörg-Haider-FPÖ sowie den Konservativen unter Kanzler Wolfgang Schüssel. Die EU verhängte daraufhin eine Art Bann über Wien: Es gab keinerlei offizielle Treffen mit rechtsnationalen Regierungsvertretern, österreichische Bewerber für höher Posten wurden nicht unterstützt. Wirklich effizient blieb diese Ausgrenzung nicht: Ein halbes Jahr später nahm die EU Wiens Isolation wieder zurück und vereinbarte, die Regierung der Alpenrepublik genau zu beobachten. Das wird sie dieses Mal sicher wieder tun. Schließlich übernimmt Österreich im zweiten Halbjahr 2018 den Ratsvorsitz der Union.

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