Mangelernährung bei Senioren Richtiges Essen im Alter so wichtig wie Medizin

Saarbrücken · Ältere Menschen verlieren spürbar an Muskelmasse, wenn sie zu wenig Eiweiß verzehren. Jeder Zehnte über 65 Jahre ist mangelhaft ernährt.

 Eine einseitige Ernährung im Alter, die zu wenig Eiweiß und Mineralien enthält, führt zu Muskelabbau und Knochenschwund. Dadurch kann die Fähigkeit verloren gehen, selbstständig zu Hause zu leben. Kauprobleme und fehlende soziale Kontakte können Ursachen einer Mangelernährung sein.

Eine einseitige Ernährung im Alter, die zu wenig Eiweiß und Mineralien enthält, führt zu Muskelabbau und Knochenschwund. Dadurch kann die Fähigkeit verloren gehen, selbstständig zu Hause zu leben. Kauprobleme und fehlende soziale Kontakte können Ursachen einer Mangelernährung sein.

Foto: kasto/ Fotolia

(ml) Senioren über 70 sind körperlich meist nicht mehr so aktiv wie in jüngeren Jahren. Der Kalorienbedarf sinkt, der Appetit nimmt ab. Allerdings bleibt der Bedarf an Vitaminen und Spurenelementen unverändert hoch. Ärzte warnen daher vor Mangel- und Fehlernährung in den höheren Lebensjahren.

„Jenseits des 70. Lebensjahres sollte die Ernährung so ausgerichtet sein, dass das Körpergewicht weitgehend stabil bleibt“, sagt Professor Dr. Jürgen Bauer, Ärztlicher Direktor einer Geriatrischen Fachklinik in Heidelberg. Eine starke Gewichtsabnahme geht bei Senioren in der Regel mit einem Abbau der Muskulatur einher. Das birgt die Gefahr einer Sarkopenie, wie der übermäßige Verlust an Muskelmasse und -kraft bezeichnet wird. Dadurch steigt das Risiko zu stürzen und dabei einen Knochenbruch zu erleiden an.

Häufiger Eiweißmangel: „Muskelmasse, die einmal abgebaut ist, kann im Alter nur schwer wieder antrainiert werden“, sagt Jürgen Bauer. Daher solle dem Muskelabbau frühzeitig entgegengewirkt werden. Zum einen ist dafür regelmäßige körperliche Bewegung wichtig, zum anderen eine gute Versorgung mit Eiweiß. Um diese zu gewährleisten, sollten Senioren täglich 1,0 bis 1,2 Gramm Eiweiß (Protein) pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen. Wenn die Muskelmasse bereits stark abgenommen hat, werden sogar 1,4 Gramm empfohlen.

Dabei muss nicht unbedingt auf Fleisch als Proteinquelle zurückgegriffen werden. Hochwertige Milchprodukte wie etwa Hartkäse und pflanzliche Eiweiße aus Erbsen, Linsen, Vollkorngetreide und Nüssen können den Bedarf ebenfalls decken.

Wenn die muskuläre Fitness im Alter abnimmt, spielen neben dem Eiweißmangel auch Entzündungen im Körper und oxidativer Stress, der die Körperzellen schädigen kann, eine Rolle. Ursache können eine schlechte, einseitige Ernährung, Alkohol, Rauchen und Bewegungsmangel sein.

Gemüse schützt Zellen: Um einer Zellschädigung vorzubeugen, raten Ernährungsmediziner, auch im Alter ausreichend Gemüse und Obst zu essen. Sie enthalten Antioxidantien, die entzündungshemmend wirken und die Zellen schützen können. Zudem sollte regelmäßig fetter Fisch verzehrt werden, der reichlich Omega-3-Fettsäuren enthält. Auch diese ungesättigten Fettsäuren hemmen und bekämpfen Entzündungen und sind für den Aufbau gesunder Körperzellen unentbehrlich.

„In einer Zeit, in der Nahrung praktisch immer und überall zur Verfügung steht, haben wir den Luxus, uns aussuchen zu können, was wir essen“, sagt Professor Dr. Cornel Sieber, Geriater (Experte für Altersmedizin) an der Universität Nürnberg-Erlangen.

Eine ausgewogene Ernährung könne nicht nur helfen, in jungen Jahren Übergewicht zu vermeiden, sondern auch Mangelerscheinungen im Alter vorzubeugen. „In jedem Alter ist eine hochwertige, den individuellen Bedürfnissen angepasste Ernährung die wichtigste Gesundheitsvorsorge, möglichst kombiniert mit Bewegung“, sagt Sieber. „Eine bessere Medizin gegen das Altern haben wir ganz einfach nicht.“

Sieber berichtet, dass er als Geriater vor allem mit Menschen jenseits des 80. Lebensjahres zu tun habe, die an einer Unter- oder Mangelernährung litten. Zwischen 5 und 10 Prozent der selbstständig lebenden Menschen über 65 Jahren zeigen Zeichen einer Mangelernährung. Im Krankenhaus erhöht sich dieser Anteil auf über 50 Prozent, in geriatrischen Rehabilitationskliniken liegt die Zahl sogar bei 85 Prozent, wenn außer einer bereits bestehenden Mangelernährung auch das Risiko berücksichtigt wird, dass die Patienten zu wenig und zu einseitig essen.

Verlust der Selbstständigkeit: Es gibt außer schlechter Ernährung noch andere Gründe, die zu einer Mangelernährung im Alter führen, angefangen mit Kauproblemen bis hin zu Einsamkeit und Depression. Eine Mangelernährung hat zur Folge, dass körperliche und geistige Funktionen geschwächt werden. Ein Leben in Selbstständigkeit gerät dadurch in Gefahr.

Bei einem Gewichtsverlust verliert ein betagter Mensch zunächst Muskelmasse. Schwinden die Muskelzellen, ersetzen Fettzellen das bestehende Vakuum. Die Betroffenen weisen dann zu wenig Muskelmasse, dafür zu viel Fett auf. Dennoch wirken sie nicht übergewichtig. Denn das Fett hat sich vor allem im Bauchraum abgelagert, in den inneren Organen und um sie herum. Dieses Eingeweidefett schüttet ständig Stoffe aus, die im Körper Entzündungen entfachen. Zwar sind es erst nur leichte, dafür aber dauerhafte Entzündungen. „Diese niederschwelligen Entzündungen sind eine wichtige Ursache für Alterungsvorgänge“, sagt Cornel Sieber. Wer davon betroffen ist, hat dieselben Risikofaktoren wie übergewichtige Menschen: erhöhte Blutfettwerte, zu hohe Cholesterinwerte, verstopfte Gefäße, Bluthochdruck, Diabetes, dauerhafte innere Entzündungen, Fettleber und ein Krebs. Starke Muskeln hingegen wirken entzündungshemmend. Werden sie bewegt, schütten sie Stoffe aus, die das Immunsystem stärken.

Bierbauch auf Streichhölzern: In der Gruppe der alten Menschen ist häufig auch eine Kombination von Muskelschwäche und Übergewicht anzutreffen. „Ein Bierbauch auf Streichholzbeinen“, beschreibt Sieber es einprägsam. Medizinisch heißt es sarkopenische Fettleibigkeit. Betroffene Menschen leiden oft unter Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes, die ihre Lebensqualität weiter verschlechtern.

In Deutschland stürzt jeder dritte Bürger über 65 Jahre mindestens einmal im Jahr. Bei den über 80-Jährigen ist es jeder Zweite. Laut Robert-Koch-Institut passieren mehr als die Hälfte der Sturzunfälle bei Personen ab 60 Jahren zu Hause oder in der unmittelbaren Umgebung, zum Beispiel im Garten oder in der Garage.

„Die häufigsten Ursachen sind eine schwache Muskulatur und Probleme mit der Balance. Aber auch Seh- und Höreinschränkungen oder Medikamente, die die Reaktionsfähigkeit einschränken, tragen dazu bei“, erklärt Professor Dr. Joachim Windolf, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie der Universitätsklinik Düsseldorf.

Jährlich werden in Deutschland mehr als 400 000 ältere Menschen nach einem Sturz im Krankenhaus behandelt. Etwa 135 000 Menschen über 65 haben einen Oberschenkelhalsbruch erlitten, darunter 60 Prozent Frauen. Nach einem Oberschenkelhalsbruch erlangt nur die Hälfte der Patienten die alte Beweglichkeit zurück. Bis zu 20 Prozent werden dauerhaft pflegebedürftig. Und bis zu 24 Prozent versterben sogar im ersten Jahr nach dem Ereignis. Dabei spielen oft Komplikationen wie Thrombosen und Lungenentzündungen eine Rolle. „Betagte Menschen haben nach einer Schenkelhalsfraktur oft eine schlechtere Überlebenschance als mit einer Krebserkrankung“, erläutert Cornel Sieber.

Muskelschwund erhöht Sturzgefahr: Ein fortschreitender Muskelschwund wird oft erst festgestellt, wenn es zu einem schweren Sturz gekommen ist. Die Muskelschwäche ist die häufigste Ursache für Stürze im Alter. Und auch an den Sturzrisiken Nummer zwei und drei, den Störungen von Gang und Gleichgewicht, ist häufig eine Muskelschwäche beteiligt. Bei übergewichtigen Menschen, die aufgrund einseitiger Ernährung auch unter Vitamin- und Mineralstoffmangel leiden können, ist ein Muskelabbau oft nur schwer zu erkennen.

Bei älteren Menschen treten Muskelschwund (Sarkopenie) und Knochenschwund (Osteoporose) oft gleichzeitig auf. Man spricht dann von Osteosarkopenie. Dazu wurde bisher jedoch nur wenig geforscht.

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie berichtet von einer Studie mit 68 Personen über 65, die alle noch zu Hause lebten, in der überprüft wurde, inwieweit eine Osteosarkopenie Patienten besonders in ihrer Funktionalität einschränkt und ob sie stärker gefährdet sind, einen Knochenbruch zu erleiden.

Bei den Teilnehmern wurden die Greifkraft, die Ganggeschwindigkeit und ihr Vermögen, möglichst schnell von einem Stuhl aufzustehen, ohne sich dabei mit den Händen abzustützen, getestet. Zudem wurde ihr Knochenstoffwechsel untersucht. Es zeigte sich, dass die Patienten mit Osteosarkopenie im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen deutlich Einschränkungen bei der Handkraft und beim Aufstehen vom Stuhl aufwiesen. Bei Sarkopenie oder Osteoporose allein waren die Werte nicht so auffällig. Die Gesellschaft für Geriatrie rät daher, zukünftig neben den Knochen auch die Muskulatur in die Diagnostik und Therapie mit einzubeziehen.

Um einer Osteosarkopenie vorzubeugen, sei neben einer proteinreichen Ernährung auch regelmäßige körperliche Aktivität, die alle Muskelgruppen anspreche, das beste Mittel, sagt Cornel Sieber. „Die Gartenarbeit kann hier als Paradebeispiel dienen.“

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