Eine Frage des Gewissens

Die drei Priester Jakob, Dominik und Oliver sind Freunde – bis einer der Drei unter dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen verhaftet wird. Jakob stellt Nachforschungen an, um die Schuldfrage zu klären, während Dominik den Fall vertuschen will, um die Kirche zu schützen. Für Jakob, der die Wahrheit erfährt, stellt sich die Gewissensfrage. „Verfehlung“ ist das packende, sehr gut gespielte Kinodebüt von Regisseur und Autor Gerd Schneider, der selbst einmal Priesteramtskandidat war. SZ-Redakteur Tobias Kessler hat mit ihm über den Film gesprochen und über seine Sicht auf die Kirche.

Sie selbst waren Priesteramtskandidat - warum sind Sie letztlich kein Priester geworden?

Schneider: Naja, ein naheliegender Grund war der Zölibat - da hätte ich doch arge Probleme bekommen. Aber der eigentliche Grund war eher der, dass ich irgendwann im Hauptstudium merkte, dass ich mir einige Illusionen über den Beruf gemacht habe. Heute Pfarrer nicht nur einer, sondern gleich mehrerer Gemeinden zu sein, bedeutet modernes Management - und weniger Seelsorge, so wie ich sie mir vorstellte. Also habe ich Abschied genommen.

Wie nah kamen Sie in dieser Zeit Missbrauchsfällen selbst?

Schneider: Nicht in dem Sinne, dass ich etwas bemerkt oder mitbekommen hätte. Tatsächlich hat ein Mitbruder im vertrauten Kreis mal die Angst geäußert, er könne sich zu Kindern hingezogen fühlen - das hat ihn schwer belastet und uns überfordert. Wir haben ihn an unseren Spiritual verwiesen. Ob er wirklich diese Neigung hatte, weiß ich nicht, aber da war echte Panik zu spüren. Priester geworden ist er nicht.

Stammen Sätze im Film wie "Die Kirche ist eine Mutter, und die Mutter schlägt man nicht" aus Ihren eigenen Erfahrungen?

Schneider: Oh ja. Das ist ein Originalzitat meines damaligen Bischofs, der ohnehin für so manches Bonmot berüchtigt war. Das war eines seiner typischen Totschlagargumente, denen man wenig entgegen zu setzen hatte. Knallhart.

Würden Sie sagen, dass die Kirche systematisch vertuscht?

Schneider: Nein, auch wenn das viele glauben. Die Vertuschungen der vergangenen Jahre - oder besser Jahrzehnte - trägt vielmehr systematische Züge, weil sie ein systemimmanentes Problem darstellen, ähnlich wie bei Banken oder großen Konzernen, das ist keine katholische Erfindung. Es zeigt sehr schmerzhaft die Hilflosigkeit von Menschen, die aus Angst vor einem Imageverlust Grenzen überschreiten, die nicht überschritten werden dürfen.

Spielt beim Vertuschen auch ein gewisser Korpsgeist eine Rolle, ein Elitedenken?

Schneider: Das ist eine logische Folge in geschlossenen Systemen. Korpsgeist herrscht in so manchem Bereich, nur ist er in einem religiösen System besonders schwerwiegend. Mittler zwischen Himmel und Erde, Gott und den Menschen zu sein oder sich als solcher zu fühlen, verführt zu elitärem und überheblichem Denken, da muss man nicht besonders nachhelfen. Aber auch hier: Das ist kein rein katholisches Phänomen. Nur sollte die Kirche sich davon frei machen.

Die drei Freunde im Film sagen am Anfang des Films "Jetzt sind wir am Drücker". Ist der Glaube, ein solch starres System verändern zu können, naiv?

Schneider: Ich denke, der ist durchaus berechtigt. Wir erleben ja gerade im Moment mit Papst Franziskus einen Paradigmenwechsel, und viele Bischöfe folgen ihm mit großer Energie, weil sie wissen, was die Stunde geschlagen hat. Manche aber auch nicht, und genau da knirscht es im Gebälk. Ich halte das für einen überfälligen Vorgang, der grundsätzlich schon immer stattgefunden hat, aber dem es bisher an der nötigen Durchsetzung gefehlt hat. Es gab schon einmal so eine Phase: Während des 2. Vatikanischen Konzils in den 60er Jahren.

Ihr Film bemüht sich um Differenzierung - haben Sie das Gefühl, dass bei diesem Thema zu pauschal über die Kirche diskutiert wird?

Schneider: Allerdings. Das ist ein Komplex, wo es nicht einfach nur Schwarz und Weiß gibt, sondern vor allem viel Grau. Da gleich nach dem Henker zu rufen, hilft nicht viel. Ich will, dass die Leute merken, dass man sehr schnell in eine Situation geraten kann, wie auch die Hauptfigur, der Priester Jakob, in sie hinein gerät.

"Verfehlung" klingt angesichts des Missbrauchs lapidar - warum wählten Sie den Titel?

Schneider: Für mich hängt der Begriff der Verfehlung moralisch sehr hoch: Da übertritt jemand wider besseres Wissen moralische Grenzen und macht sich so schuldig: Der eine vergeht sich, der andere vertuscht. Im Fall der Hauptfigur ist die Verfehlung sein Schweigen. Das muss er brechen, um diesen Teufelskreis zu überwinden.

"Verfehlung" läuft im Saarbrücker Filmhaus.

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