Ein „Vive la France“ aus dem Staatstheater

Der rote Teppich vor der Treppe des Staatstheaters fiel verdammt kurz aus: zwei Fußmatten. Ein Sparopfer, typisch Provinz, typisch Saarland? Falsch. Die Bundesländer, in denen der Bühnen-"Oscar" vergeben wird, finanzieren zwar die Gala, doch Veranstalter und Organisator ist der Deutsche Bühnenverein im Zusammenwirken mit der Kulturstiftung der Länder und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste.

 „Paradox“ nannte Bibiana Beglau das: Für ihre „Mephisto“-Darstellung bekam sie den „Faust“ in Saarbrücken. Fotos: Oliver Dietze

„Paradox“ nannte Bibiana Beglau das: Für ihre „Mephisto“-Darstellung bekam sie den „Faust“ in Saarbrücken. Fotos: Oliver Dietze

 Fast ein Heimspiel: Rund 300 Saarländer waren im Staatstheater mit dabei. Auf Sofas in der ersten Reihe nahmen prominente Gäste Platz.

Fast ein Heimspiel: Rund 300 Saarländer waren im Staatstheater mit dabei. Auf Sofas in der ersten Reihe nahmen prominente Gäste Platz.

 Choreografin Bridget Breiner mit Moderator Bernd Moss.

Choreografin Bridget Breiner mit Moderator Bernd Moss.

 Für sein Lebenswerk geehrt: Der Bassbariton Franz Mazura.

Für sein Lebenswerk geehrt: Der Bassbariton Franz Mazura.

 Überraschungsgast: Kurt Josef Schildknecht, 1991 bis 2006 Generalintendant des SST, mit Nachfolgerin Dagmar Schlingmann.

Überraschungsgast: Kurt Josef Schildknecht, 1991 bis 2006 Generalintendant des SST, mit Nachfolgerin Dagmar Schlingmann.

So gesehen war die Saarbrücker Intendantin Dagmar Schlingmann am Samstagabend Gast und Zuschauerin im eigenen Haus.

Die Theaterwelt reiste an, um die Spielzeit-Besten zu ehren. Die 24 Nominierten fuhren in weißen Limousinen des "Faust"-Sponsors Skoda vor, posierten für Fotografen. Auch das Theater hat "celebrities"? Nicht wirklich. Das deutsche Theaterwesen ist ein städtisches Phänomen: Stars werden durch ihr lokales Publikum gemacht, werden nicht zum Massenartikel. Insofern ist der Glamourfaktor beim "Faust" generell gedimmt. Doch in Saarbrücken sackte er nahezu gen Null. Viele Prominente sagten ab, nicht etwa wegen der Pariser Attentate, sondern ob der umständlichen Reise nach Saarbrücken und fehlender Flugverbindungen. Nachmittags sprang auch noch Charlie Hübner ("Polzeiruf 110") ab. Dann war da nur noch die "Traumschiff"-Schauspielerin Susanne Uhlen . Doch man hatte nicht den Eindruck, dass dem Publikum etwas abging. Positive Energie trug den zweieinhalbstündigen Abend. Er wurde zu einer prächtigen Leistungsschau: so unverstaubt, so ernsthaft, so leidenschaftlich, so kontrastreich ist Theaterkunst heute. Das zeigten Kurzfilme, die die Nominierten und ihre Produktionen in Kurzporträts vorstellten. 5000 Inszenierungen gehen bundesweit über die Bühnen, da darf man schon mal feiern. Schöne heile Theaterwelt? Ein Hoch auf uns?

Das wäre zu billig. Der Abend begann mit einer Schweigeminute. Der Bühnenverein hatte sogar eine Absage erwogen, so dessen Präsidentin, Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler in ihrer Rede. "Aber das wäre ein defensives, zutiefst resignatives, absolut falsches Signal" gewesen. Auch der saarländische Kulturminister Ulrich Commerçon (SPD ) erwähnte die "barbarischen Ereignisse". Das Hauptaugenmerk seiner Ansprache legte er jedoch auf die Geschichte des Hauses, das er als ein Paradebeispiel für das emanzipatorische Potenzial beschrieb, das dem Theater innewohnt. Hitler habe das Staatstheater 1938 als kulturelles "Bollwerk" gegen die französische Feindes-Kultur errichten lassen - doch es habe sich als Türöffner zum Nachbarn entwickelt, so der Minister. Dem spontanen "Vive la France"-Ruf aus dem Publikum folgten Bravos. Authentischer lässt sich auswärtigen Gästen kaum zeigen, warum sich das Saarland das "französischste aller Bundesländer" nennt.

Danach lief der "Faust" nach bewährtem Entertainment-Muster. Die Laudatio der Regisseurin Andrea Moses auf den 91-jährigen Opernsänger Franz Mazura, der für sein Lebenswerk geehrt wurde und immer noch auf der Bühne steht, setzte dabei einen starken Gefühlsakzent. Schwärmerisch schilderte Moses den "König der Charmeure", der 40 Jahre lang in Mannheim engagiert war und zum Weltstar wurde, als eine Art Giganten der Menschlichkeit und Begabung.

Doch die Theaterwelt tickt auch sehr nachdenklich und selbstkritisch. Am deutlichsten machte dies die Dankesrede von Andrea Breth , die für ihre Stuttgarter Opern-Regiearbeit ("Jakob Lenz") ausgezeichnet wurde. In schockierender Offenheit sprach sie von "Ohnmacht und Ratlosigkeit" der Theaterleute ob der Radikalisierung: "Wir sind von tiefer Unfähigkeit geprägt, wir werden das Problem nicht einholen." Auch Bibiana Beglau nutzte ihren Auftritt als Siegerin in der Kategorie Darstellerin/Schauspiel, um ein Manifest zu verlesen - und hätte dafür schlimmstenfalls auch die Bühne gestürmt, wie sie der SZ verrät. Beglau formulierte einen eindringlichen Appell, die Theatersäle für die Flüchtlinge zu öffnen: "Wir müssen unsere Kunst teilen, denn es gibt Mangel auch an geistiger Nahrung. Auch in dem Risiko, dem Nichtwissen und dem Chaos zu begegnen."

Auf diese aktuelle Ebene ließ sich Moderator Bernd Moss jedoch nicht ein, verharrte in der Rolle des clownesken Gutelaune-Animateurs, jonglierte mit Pointen und Wortspielen, verhohnepipelte die Musentempel-Attitüde. Als "Idealbesetzung" lobte ihn später gegenüber der SZ eine vom (Komiker-)Fach, die saarländische Kabarettistin Alice Hoffmann . Sie war eine von erstaunlich vielen, etwa 300 Saarländern unter den Gästen. Für Rolf Bolwin, geschäftsführender Direktor des Bühnenvereins, war Saarbrücken ein besondere Station. Zur SZ meinte er, es sei wichtig, dass der "Faust" nicht nur in den ganz großen Häusern der Metropolen vergeben wird: "In Städten wie Saarbrücken spürt man die emotionale Kraft, die das Theater ausstrahlen kann, besonders stark." Das hätten, so Bolwin, gerade auch die künstlerischen Beiträge des Staatstheaters bewiesen, die in das Programm eingebettet wurden. Tatsächlich schossen die dynamischen Trommel-Rhythmen des SST-Trios "Percussion under construction" wie Frischewellen ins Publikum, und auch das Balletensemble startete mit dem unkonventionell-bizarren "Cacti" von Alexander Ekman eine Charmeoffensive. Saarländisches Theater mit Sympathiefaktor, was will man kulturpolitisch mehr? Die Schauspielerin Bibiana Beglau verlas in Saarbrücken ein Manifest, das wir hier in Auszügen drucken: "Die Festung Goethe und Schiller, Fetisch kultureller Identifikation und ewiges Kulturgut, ist kein Rückzugsort mehr. Wir können wieder Avantgarde sein, (…) indem wir ein neues gemeinsames Abenteuer begehen. (…) Das Teilen unserer Theaterräume ist nicht so leicht. Wir können den geflohenen Menschen in unseren Inszenierungen Raum geben, ihre Geschichten zu erzählen oder unkonventionelle und praktische Unterkunft bieten. Das alles findet schon statt und ist gut. Theaterkultur teilen heißt aber auch ganz konkret, dass diese Menschen in unseren Zuschauerräumen sitzen. Als Gleiche unter Gleichen. (…) Stellen wir uns in der Ursprünglichekeit unseres Berufs allen zur Verfügung, teilen wir unsere Kunst. (...) Unsere Texte, Bilder, Tänze und Lieder sind fremd für die Neuangekommenen, aber es sind Texte, Bilder, Tänze und Lieder."

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