"Ein Teufelskreis"

Herr Bofinger, offenbar haben Ratingagenturen mehr Macht als ganze Staatengemeinschaften. Wie ist das möglich?Bofinger: Die Macht der Ratingagenturen ergibt sich daraus, dass Banken, Versicherungen und Pensionsfonds nur Papiere mit bestimmten Mindest-Qualitätsmerkmalen halten dürfen

Herr Bofinger, offenbar haben Ratingagenturen mehr Macht als ganze Staatengemeinschaften. Wie ist das möglich?Bofinger: Die Macht der Ratingagenturen ergibt sich daraus, dass Banken, Versicherungen und Pensionsfonds nur Papiere mit bestimmten Mindest-Qualitätsmerkmalen halten dürfen. Die entsprechende Qualitätsprüfung erledigen die privaten Ratingagenturen, von denen es weltweit nur drei gibt. Ihre Macht resultiert also vor allem aus dem fehlenden Wettbewerb.

Können sie für ihre Entscheidungen haftbar gemacht werden?

Bofinger: Nein, die Ratingagenturen berufen sich darauf, dass sie wie Journalisten nur "Meinungen" abgeben, die durch das Recht der freien Meinungsäußerung geschützt sind, und dass sie deshalb für falsche Ratings nicht haften müssen.

Warum nehmen Staaten die Meinung der Ratingagenturen praktisch wie ein Gottesurteil hin?

Bofinger: Das Grundproblem ist, dass heute das Wohl und Wehe der Währungsunion von den Finanzmärkten abhängt. Die Märkte entscheiden, ob sie einem einzelnen Euro-Land weiter Geld geben oder nicht. Denn anders als die USA oder Großbritannien hat dieses Land keine Möglichkeit sich über eine eigene Notenbank zu finanzieren.

Und was folgt daraus?

Bofinger: Ein Teufelskreis. Wenn die Märkte zu dem Urteil kommen, ein Euro-Land ist finanziell in Not, dann steigen dort die Zinsen, was es dem Land schwieriger macht, seine Schulden zu bedienen. Dann sagen die Ratingagenturen, die Möglichkeit der Schuldenrückzahlung verschlechtert sich, was weitere Zinserhöhungen nach sich zieht. Letztlich sind die Ratingagenturen also nur Teil des Spiels.

Würden Sie sagen, dass die Ratingagenturen für die Zuspitzung der Griechenland-Krise verantwortlich sind?

Bofinger: Sie verschärfen den Teufelskreis. Das Hauptproblem ist die mangelnde Bereitschaft der Politik zu grundlegenden Lösungen.

Was schlagen Sie vor?

Bofinger: Der Teufelskreis lässt sich nur durchbrechen, in dem man für die Währungsunion ein einheitliches Finanzierungsinstrument schafft. Es würde schon reichen, griechische Anleihen in Anleihen des Euro-Rettungsfonds zu tauschen. Dann wäre die Macht der Ratingagenturen über Griechenland gebrochen. Nur handelt es sich dabei um eine Art Vorstufe für Euro-Bonds, und da winken finanzstarke Euro-Länder wie Deutschland ab.

Könnte man auf die Ratingagenturen komplett verzichten?

Bofinger: Prinzipiell ja. Nötig wären dann ein umfassendes eigenständiges Rating der Banken und Versicherungen und eine akribische Überprüfung dieser Ergebnisse durch die staatliche Finanzaufsicht.

Und wie ließe sich die Kreditwürdigkeit ganzer Staaten begutachten?

Bofinger: Maßstab könnte die Schuldenstands-Quote eines Landes sein. Je höher sie ist, desto unsicherer ist die finanzielle Situation des Landes.

Politiker fordern europäische Ratingagenturen in Konkurrenz zu den US-Bonitätsprüfern. Was halten Sie davon?

Bofinger: Das ist eine naheliegende Lösung, wobei es sich um wirklich unabhängige Einrichtungen handeln müsste. Eine staatliche Rating-Agentur zu Beurteilung anderer Staaten würde das Problem nicht lösen. Mit der Schaffung europäischer Rating-Agenturen würde mehr Wettbewerb einziehen. Um die Pleitegefahr von Staaten beurteilen zu können, sind viel umfangreichere Kenntnisse erforderlich, als für die Begutachtung einzelner Unternehmen. Die Branche würde sicher sorgfältiger arbeiten, wenn mehr Bonitätsprüfer ihre Dienste anböten.

Hintergrund

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Macht der Ratingagenturen bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Landes in Frage gestellt. "Was das Thema Ratingagenturen anbelangt, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns unsere eigene Urteilsfähigkeit nicht sozusagen wegnehmen lassen", sagte Merkel in Berlin. Sie nenne hier insbesondere den Internationalen Währungsfonds, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission, fuhr die Kanzlerin fort. Sie vertraue "vor allen Dingen auch auf die Bewertungen" dieser drei Institutionen.

Der bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon hat den schnellen Aufbau europäischer Ratingagenturen gefordert, um unabhängig von US-Agenturen zu werden. afp

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