Ein "Senioren-Tüv" macht Straßen nicht sicherer

München. Nach der Unfallfahrt eines 79-Jährigen in einen Schützenumzug im sauerländischen Menden hat der Verkehrsexperte der Grünen, Winfried Hermann, eine heiß umstrittene Forderung seiner Partei erneuert. Hermann warnt vor einer "demographischen Zeitbombe" im Straßenverkehr, weil ab 2020 ein Drittel der Autofahrer älter als 60 Jahre sein wird

München. Nach der Unfallfahrt eines 79-Jährigen in einen Schützenumzug im sauerländischen Menden hat der Verkehrsexperte der Grünen, Winfried Hermann, eine heiß umstrittene Forderung seiner Partei erneuert. Hermann warnt vor einer "demographischen Zeitbombe" im Straßenverkehr, weil ab 2020 ein Drittel der Autofahrer älter als 60 Jahre sein wird. Und er fordert einen Fahrtauglichkeits-Test für Senioren - mit 65 Jahren freiwillig, ab dem 70. Geburtstag verpflichtend. Experten halten indes wenig von solch einem "Senioren-Tüv". Heinz-Jürgen Kaiser, Experte für Mobilität im Alter, nennt den Vorschlag gar "ziemlichen Unsinn". Der Wissenschaftler von der Universität Erlangen verweist ebenso wie der Automobilclub ADAC auf die Unfallstatistiken. Demnach haben junge Fahrer bis 25 Jahre gegenüber den Alten ein mehrfach erhöhtes Unfallrisiko. Zwar gebe es immer wieder tragische Unfälle, an denen Senioren beteiligt sind, räumt Kaiser ein. Eine Analyse der Statistik zeige aber, dass es sich dabei um Einzelfälle handle. Und dass Fahrtauglichkeits-Tests keinen positiven Effekt hätten, belegten Studien aus anderen Ländern. So müssen sich Senioren etwa in der Schweiz, in Finnland und England ab einem gewissen Alter solch einer Prüfung unterziehen. Der Blick auf die Unfallstatistiken belege aber, so Kaiser, dass ihr Anteil an den Unfällen dort vergleichbar hoch sei wie in Staaten ohne Test. Das rigorose staatliche Vorgehen gegen alte Autofahrer traf übrigens auch einen prominenten Deutschen: Der TV-Moderator Joachim Fuchsberger musste in seiner Wahlheimat Australien am 80. Geburtstag den Führerschein abgeben. Nach Kaisers Angaben zeigt jedoch auch das Beispiel Australien, dass die in manchen Bundesstaaten vorgeschriebenen Tauglichkeits-Tests ohne positive Wirkung blieben. Mancherorts sei sogar nach Einführung des Tests ein Anstieg der Unfälle von Senioren festgestellt worden. Die Erlanger Forscher bestätigen allerdings, dass nach dem 75. Geburtstag ein statistisch höheres Unfallrisiko besteht. Auch liege in drei Vierteln der Unfälle, bei denen ein Beteiligter dieser Altersgruppe angehöre, die Schuld bei den Senioren. Und das Statistische Bundesamt vermerkt in einer Studie: "Ältere verlieren in komplexen Situationen schneller den Überblick als Verkehrsteilnehmer jüngerer Altersgruppen."Bei schlechtem Seh- oder Hörvermögen ist ein Entzug des Führerscheins schon heute nach Paragraph 46 der Fahrerlaubnisverordnung möglich. Aber: Wie stellt man die Probleme fest, wenn der Betroffene eine Untersuchung ablehnt? Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat empfiehlt auch für die Zukunft, die Fahreignung "im Ermessen des Einzelnen" zu belassen. Man rate älteren Fahrern zur "Selbsteinsicht" und freiwilligen Schritten, sagt Sprecherin Carla Bormann. Dazu gehörten auch ärztliche Untersuchungen.In Nürnberg und Erlangen soll im Herbst ein Modellversuch starten, um besonders unfallgefährdet erscheinende ältere Autofahrer gezielt über mögliche Konsequenzen aufzuklären. Dabei will eine Forschergruppe in Krankenhäuser und Tageskliniken Senioren ansprechen, die wegen einer Erkrankung in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt sind oder ein erhöhtes Risiko plötzlicher Schwächeanfälle tragen. In solchen Fällen könne man zum Ergebnis kommen, dass ein Test der Fahrtauglichkeit sinnvoll wäre. "Jede Altersgruppe hat ihre spezifischen Risiken", bilanziert Kaiser. Bei den Alten werde dieses Risiko gern überschätzt.

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