Ein seltsames Lob der Region

Für Christopher Eckers mehr als 1000 Seiten umfassendes Buch "Fahlmann" wirbt der Verlag mit dem selbstbewussten Slogan, er wende sich an "Freunde von Pynchon, Wallace und Bolano". Es lässt sich kaum eine höhere Messlatte vorstellen. Pynchons Roman "V.", er erschien 1963, gilt als das brillanteste Debüt der Literaturgeschichte, zumindest im 20

Für Christopher Eckers mehr als 1000 Seiten umfassendes Buch "Fahlmann" wirbt der Verlag mit dem selbstbewussten Slogan, er wende sich an "Freunde von Pynchon, Wallace und Bolano". Es lässt sich kaum eine höhere Messlatte vorstellen. Pynchons Roman "V.", er erschien 1963, gilt als das brillanteste Debüt der Literaturgeschichte, zumindest im 20. Jahrhundert, als Konkurrent wird lediglich Thomas Mann mit den "Buddenbrooks" ernstgenommen. David Foster Wallace und Roberto Bolano feierten in letzter Zeit so verdiente wie überraschende Erfolge mit Wälzern, nachdem sie, noch verhältnismäßig jung, gestorben waren.Eckers Buch beginnt mit einer exemplarischen Szene. Der Titelheld, Georg Fahlmann, blickt aus dem Fenster und beobachtet, wie sein Vater überfahren wird. Bei allem, gelegentlich durchaus fragwürdigem Humor trifft man auf eine Welt, in der vorwiegend der Tod eine Rolle spielt. Fahlmann lebt mit Frau und Kind bei Verwandten und verdient seinen Lebensunterhalt im Familienbetrieb, in einem Bestattungsunternehmen. Aber eigentlich versteht sich der Student als angehender Schriftsteller, der, so hat es den Anschein, auch einen Roman mit Titel "Fahlmann" erzählt. Immer wieder kommen Passagen vor, in denen jemand am Fenster steht, sich an früher erinnert, sich an Erinnerungen erinnert und irgendwo, irgendwann im Hotelzimmer sitzt, um über all das zu schreiben. Der Roman endet mit der Ausführung des Planes. Zwischendurch konnte man sogar eine Abenteuergeschichte lesen, die von einer deutschen Afrika-Expedition vor dem Ersten Weltkrieg berichtet.

Schnell bemerkt man, dass man ein Werk vor sich hat, das von den Mühen beim Schreiben handelt. Ecker stellt Fragen zu Benennung und Einordnung der Welt und beantwortet die Ausgangslage mit dem eigenen Buch. Bei diesem Vorgehen spielt sowohl Carl von Linné, Erfinder der binären Nomenklatur, eine Rolle, als auch die Weltliteratur (etwa Homer, Melville und Stéphane Mallarmé). Diskutiert wird noch einmal das alte Problem einer zielgenauen Sprache, die für eine Sache genau ein Wort bereithält. Auch kommen fremde Lebensformen zur Sprache, beispielsweise die Schlümpfe und die Simpsons. Ecker nimmt die neuen Medien ernst, den Comic und das Fernsehen. Außerdem versucht er, das Geheimnis der so genannten Populärkunst zu ergründen, wenn er Fahlmann als Fan von Krimi und Science Fiction, von Raymond Chandler und Philip K. Dick zeigt. Eigentlich will Ecker in einem, man ahnt es, experimentellen Roman so ziemlich jede Frage ansprechen, die sich im Bereich der zeitgenössischen Literatur fast automatisch stellt. Nicht zuletzt ist sein Mut als Autor zu loben.

1967 in Saarbrücken geboren und heute als Lehrer bei Kiel lebend, debütierte er 1994 im PoCul-Verlag. 2005 erhielt er für seine Erzählung "Kaninchen, Nashorn, Wombat und Qualle" den Gustav-Regler-Förderpreis, 2007 zeichnete der Förderkreis deutscher Schriftsteller in Rheinland-Pfalz seinen Roman "Madonna" als "Buch des Jahres" aus.

Eckers Mammutwerk "Fahlmann" ist eigentlich ein Frühwerk, dem es aber an dem Charme des ersten Wurfes fehlt, die Jungschriftsteller-Naivität wurde im Laufe der Jahre, die Publikation verzögerte sich, immer wieder bearbeitet. Wahrscheinlich sind auch die Vorbilder Pynchon, Wallace und Bolao falsch gewählt. Zu denken wäre eher an Eckhard Henscheids "Trilogie des laufenden Schwachsinns" oder an das Lied "Am Fenster" von City, jenen Song mit der fidelnden Endlosscheife, die in Kneipen seinerzeit zu zahlreichen Bierbestellungen führte.

Groß ist "Fahlmann" immer dann, wenn der Roman, neben Affären mit oder ohne Dosenbier, einen anderen Blick auf das Saarland wirft. Liebevoll wird an einigen Stellen die einheimische Ausdrucksweise in Lautumschriften wiedergegeben. Zudem gibt es keine liebevollere Verklärung der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek vor dem Umbau, bei Ecker lassen sich sogar die alten Toilettentürsprüche nachlesen. Bei aller notwendigen Mäkelei überzeugt der Roman gerade dadurch, dass es ihm gelingt, Heimat jenseits von touristischer Schönfärberei vorzustellen. Das ist schon sehr viel.

Christopher Ecker: Fahlmann. Mitteldeutscher Verlag, 1032 S., 39,95 €; Kai U. Jürgens (Hg.), "Liebeserklärung an eine Zielscheibe". Materialien zu C. Eckers Roman "Fahlmann". Mitteldeutscher Verlag 112. S., 9.95 €

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