Ein Kobold namens Kennedy

Elversberg · Über 2500 Gäste erlebten am Freitagabend in Elversberg die musikalische Urgewalt Nigel Kennedy mit seiner Jimi-Hendrix-Show. Eine Premiere auch für die neue Ursapharm-Arena als Open-Air-Bühne. Und die war klasse. Bitte mehr davon!

 Star-Geiger Nigel Kennedy am Freitagabend beim Bad in der Menge im Elversberger Stadion. Dort sollen auch in den kommenden Jahren Open Airs stattfinden. Foto: Iris Maurer

Star-Geiger Nigel Kennedy am Freitagabend beim Bad in der Menge im Elversberger Stadion. Dort sollen auch in den kommenden Jahren Open Airs stattfinden. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Musik ist Musik ist Musik: Bei Nigel Kennedy wird einem, Gertrude Steins berühmte Wortspielereien im Sinn, schlagartig wieder mal das Besondere am Selbstverständlichen klar. Nein, nicht weil der Mann mit dem meistverkauften Klassikalbum aller Zeiten in Baggy-Hosen, Fußballshirt (Aston Villa ) und neongrünen Turnschuhen in einem Fußballstadion auftritt, und, bevor er loslegt, die Reihen abklatscht. Nicht weil er notorisch "shit" ins Mikrofon kräht, dann aber "Danny Boy" so zart aus den Saiten in den Elversberger Abendhimmel zaubert, dass man eben bloß gerührt sein kann. Nein, besonders wird es, weil Nigel Kennedy unbekümmert wie ein Kind auf seiner Geige einfach spielt, was ihm gefällt. Und so, wie er's will, jedweden Konventionen trotzend. Gute Musik benötigt keine Etiketten, unter denen man sie als Jazz, Folk, Rock, Klassik wegsortieren kann. Banal klingt das, aber nur bei einem Ausnahmekünstler wie Nigel Kennedy wird es auch zur Wahrheit.

Wobei Jimi Hendrix , dem Kennedy seine Tour widmet, mit der er am Freitag auch zu den Musikfestspielen Saar kam, viel, viel mehr für den britischen Star-Geiger bedeutet. Ein Seelenverwandter muss er wohl für ihn sein. Und wie die Woodstock-Legende kennt auch Kennedy kein Halten, hebt er mal, die E-Geige am Kinn, zu seinen Improvisations-Flügen über Hendrix‘ Songs ab. 10, 20, 30 Minuten kann das gehen. Völlig weggedreht. Pizzicati-Gewitter brechen aus Boxenbatterien übers Stadion herein, Echo- und Überlagerungsklänge, Rückkopplungen, die Kennedy aufnimmt, mit ihnen jongliert, so quasi mit sich selbst als Begleiter spielt. Für Hendrix-Fans wie ein Déjà-entendu.

Bloß, die Geige auch mit den Zähnen zu traktieren, wie Hendrix das einst mit seiner Gitarre machte und mit seinem Zungensaitenspiel prüde Amerikaner schamrot anlaufen ließ, das lässt der Brite sein. Wäre für einen Geiger auch ein zu großes Halsverbiegekunststückchen. Und sein Instrument auf der Lautsprecherbox zu zerlegen, für Hendrix die ultimative Klangerfahrung, versagt Kennedy sich auch. Angesichts der Stradivari, die er gelegentlich neben der E-Geige in Konzerten spielt (man weiß aber nie so genau, wann), bliebe wohl doch zu viel kostspieliges Kleinholz übrig. Obwohl Kennedy just in seinen frühen Klassik-Jahren "fucking good" verdiente. Posaunt er jedenfalls gern mal raus. In bester britischer Arbeiterkind-Manier. Nur, dass er eigentlich ja aus einem bürgerlichen Musikerhaushalt stammt.

Trotzdem: Nichts wirkt beim Auftritt des 58-Jährigen je gekünstelt. Wenn er wie ein Kobold über die Bühne hüpft, tänzelt, lacht, völlig losgelöst, ist klar: Er hat den meisten Spaß in seinem Konzert. Wobei sich die nach Veranstalterrechnung weit über 2500 Gäste im SVE-Stadion auch prächtig amüsieren. Aber für Nigel Kennedy wirkt Musikmachen offenkundig wie drei Dosen Red Bull intravenös. So stachelt er sein Quintett ständig an, noch mehr, noch kühner zu wirbeln. Vor allem Gitarrist Julian Buschberger, mit 18 eben dem Wunderkindalter entwachsen (wobei sein wunderbares Talent bleibt), spielt er beim Improvisieren die Bälle zu. Und Buschberger antwortet großartig. Doch auch die anderen, der zweite Gitarrist Douglas Boyle, Orphy Robinson (Vibraphon und Percussion), Tomasz Kupiec (Bass) und Drummer Adam Czerwinski, sind bravouröse Könner, die wie Kennedy Grenzen nicht kennen. Ganz selbstverständlich wechseln sie für eine Nummer von Stéphane Grapelli (neben Yehudi Menuhin einer von Kennedys Lehrern) von elektrisch auf akustisch, rücken zusammen, sind eine veritable Jazz-Combo.

Nigel Kennedy war bereits ein Tornado, als er im Punker-Look in den 80ern die E-Musik durcheinanderwirbelte und 1989 mit seinem "Vier Jahreszeiten"-Album auf Platz eins der Klassik-Charts schnellte. Okay: Der Irokesenschnitt ist wie der gesamte Mann inzwischen ein bisschen in die Breite gegangen. Das Unbezähmbare jedoch blieb.

Dazu muss man sich auch mal vor Augen führen, dass Nigel Kennedy zur selben Meistergeiger-Generation zählt wie Anne Sophie Mutter. Aber: eine Frau Mutter, die im Fußballshirt die Bühne rockt? Undenkbar. Beide allerdings sind sie noch da und bannen ihr Publikum. Mutter als unnahbare Heroine der Klassiksäle, Kennedy als genialischer Freak. Schön, was man mit einer Geige alles tun kann.

musikfestspiele-saar.de

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