Ein jeder kehr' vor seiner Tür

Die Zahlen, die Professor Martin Junkernheinrich gestern zu den Finanzen der saarländischen Kommunen vorlegte, sind beeindruckend und beängstigend. Sie zeigen erstens, wie katastrophal das Ausmaß der kommunalen Verschuldung tatsächlich ist.

Und zweitens, dass sich die saarländische Politik, auf kommunaler wie auf Landesebene, über alle Parteigrenzen hinweg die Situation viele Jahre lang schöngeredet hat und kaum Problembewusstsein hat erkennen lassen.

Die Kommunalpolitik, sagt Junkernheinrich, habe sich daran "gewöhnt", laufende Ausgaben über Kassenkredite zu finanzieren. Das wäre ungefähr so, als würde ein Privatmann seine Miete per Dispokredit bezahlen. Wie man sich daran gewöhnen kann, bleibt allerdings das Geheimnis der Politiker. Unfassbar.

Man kann Junkernheinrichs Befunde so lesen: Die Kommunen haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt. Dass sie jetzt am finanziellen Abgrund stehen, hat allerdings auch damit zu tun, dass Bund und Land sich lange Zeit trotz regelmäßiger Sonntagsreden nie wirklich für die Kommunen interessiert haben.

Richtig ist, dass es keine Lösung geben kann, ohne dass der Bund und das Land den Kommunen deutlich mehr helfen als bisher. Das hat mancher in den letzten Jahren allerdings unzulässigerweise zur Aussage verkürzt, nur Bund und Land müssten etwas tun. Der Bund bewegt sich: Er hat die Grundsicherung im Alter zu hundert Prozent übernommen, die Kosten für die Eingliederungshilfe behinderter Menschen mit Milliarden abfedern, zudem ein paar Milliarden für Investitionen in die marode kommunale Infrastruktur zahlen. Sicher, das alles könnte noch mehr sein, aber die Richtung stimmt ohne Zweifel.

Beim Land kann man das bisher nicht sagen. Der Kommunale Entlastungsfonds ist tot, ein Nachfolgemodell noch nicht präsentiert. Die Landesregierung bedient sich seit Jahren schamlos in den Kassen der Kommunen, greift eigentlich für die Kommunen gedachte Hilfen des Bundes ab - alles, um im Stabilitätsrat in Berlin mit ihrem Landeshaushalt "bella figura" zu machen. Auch ein Plan für eine Funktionalreform, wenn schon eine Gebietsreform derzeit politisch nicht gewollt ist, fehlt. Braucht das Saarland, ein Land mit der doppelten Einwohnerzahl einer Ruhrgebietsstadt und der Fläche eines gewöhnlichen ostdeutschen Landkreises, wirklich zwölf untere Bauaufsichtsbehörden und 20 Stadtwerke?

Die ersten Reaktionen auf die Befunde Junkernheinrichs machen immerhin etwas Hoffnung, dass die Verantwortlichen den Schuss gehört haben. Und dass das unsägliche Gejammer, dass alle an der Situation schuld sind, nur man selbst nicht, ein Ende hat. Schon Goethe schrieb: "Ein jeder kehr‘ vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier."

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