Ein Feigenblatt des Zeitgenössischen

Salzburg. Alexander Pereira hat seine Intendanz mit einem selten begeisternden Hochglanzprogramm begonnen. Die letzte große Produktion, "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970), fällt da völlig aus dem Rahmen: als gewissermaßen zeitgenössisches Feigenblatt. Ingo Metzmacher und die Wiener Philharmoniker besitzen musikalisches Premium-Format

Salzburg. Alexander Pereira hat seine Intendanz mit einem selten begeisternden Hochglanzprogramm begonnen. Die letzte große Produktion, "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970), fällt da völlig aus dem Rahmen: als gewissermaßen zeitgenössisches Feigenblatt. Ingo Metzmacher und die Wiener Philharmoniker besitzen musikalisches Premium-Format. Souverän und mit sichtbarer Freude hat Metzmacher den gewaltigen Orchesterapparat im Griff. Er füllt den Raum mit den kein bisschen fremdelnden Philharmonikern und dem erstklassigen Protagonisten-Ensemble musikalisch faszinierend aus.Das Stück von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) über das frauenverachtende Machogehabe der Soldaten und den Abstieg der naiven Marie zur Soldatenhure ist bei Zimmermann eine exemplarische Anklage. Regisseur Alvis Hermanis (47) aber, der lettische Theaterspezialist fürs Hyperrealistische, füllt die Bühne vor allem atmosphärisch.

Die Regie beschränkt sich betont aufs gestern. Durch den Rückgriff zumindest bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs verbaut er den Weg in die Gegenwart. Im detailverliebten Einheitsraum mit Stroh und Spitzendeckchen, der Salon, Kaffeehaus und Etablissement, Kaserne und Pferdestall zugleich ist, wird Marie regelrecht an eine notgeile Männer-Meute verfüttert. Laura Aikin bewahrt ihrer Marie dabei immer noch einen Rest Würde - eine grandiose vokale und darstellerische Leistung. Tomasz Konieczny überzeugt als ihr Verlobter Stolzius mit seiner Wozzeck-Nähe und bringt am Ende (klüger als sein Bruder im Geiste) nicht Marie um, sondern die, die sie benutzt und ruiniert haben. Bei Hermanis gehen dabei gleich alle Soldaten, trotz der Gasmasken, die sie noch aufsetzen, zu Boden. Solche metaphorischen Griffe über den Rand des betont erzählerischen Kammerspiels sind die Ausnahme in dieser Inszenierung, die mit ihrer optischen Opulenz beim Publikum punktet. Die Ovationen beweisen, dass die anspruchsvolle Moderne auch in Salzburg ihr Publikum hat. jl

Die Aufführung am Sonntag läuft ab 20.15 Uhr live bei 3sat.

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