Ein Augenblick, der alles zerstört

Für den jungen Richard läuft es gut: Er gehört zum privilegierten Milieu von Dublin und ist der beliebte Alpha-Rüde seiner Clique – bis er einen schockierenden Gewaltakt an einem Rivalen begeht. „What Richard did“ heißt der preisgekrönte Film des Regisseurs Lenny Abrahamson. Der 47-jährige Ire zeigt die eindringliche Generationenstudie am Montag im Saarbrücker Filmhaus. SZ-Redakteur Tobias Kessler hat mit ihm gesprochen.

 Die Ruhe vor dem Sturm: Richard (Jack Reynor) mit Lara (Róisín Murphy). Foto: Element Pictures

Die Ruhe vor dem Sturm: Richard (Jack Reynor) mit Lara (Róisín Murphy). Foto: Element Pictures

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Ein Kritiker hat "What Richard did" als "wichtigsten irischen Film dieses Jahrhunderts" bezeichnet. Was halten Sie davon?

Abrahamson: Ich erröte kurz und denke daran, dass dieses Jahrhundert noch sehr jung ist. Da kann ja noch viel passieren.

Ein anderer Kritiker schrieb, Ihr Film beschreibe eine ganze Generation. Welche ist das?

Abrahamson: Er meinte wohl die Generation der irischen gehobenen Mittelschicht, die während des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 90ern und frühen 2000er Jahren aufwuchs. Der Wirtschaft ging es so gut, dass man Irland den "keltischen Tiger" nannte. Ich erzähle von jungen Leute, die mit einem großen Selbstvertrauen aufgewachsen sind und einer gewissen Anspruchshaltung, die aus dem wirtschaftlichen Boom resultierte - der dann irgendwann zu Ende ging.

Erzählen Sie auch von diesem Milieu, weil weniger privilegierte Milieus - etwa in den Filmen von Ken Loach - immer wieder erforscht werden?

Abrahamson: Nein, meine ersten beiden Filme haben sich mit Menschen am Rand der Gesellschaft beschäftigt. Aber jetzt hat es mich interessiert, auf einen anderen Teil Irlands zu schauen. Generell lege ich es aber nicht darauf an, in meiner Filmografie möglichst Verschiedenes unterzubringen. Es ging mir nur um die Geschichte und um die Figuren, zumal ich in einem ähnlichen Milieu wie Richard aufgewachsen bin und junge Männer wie ihn kenne.

Ihre Filme haben in Irland viele Kritikerpreise gewonnen und waren gleichzeitig auch kommerziell sehr erfolgreich. Diese Kombination ist eher selten.

Abrahamson: Es stimmt schon, dass meine Filme ein Publikum gefunden haben. Aber Blockbuster-Kassenhits waren sie auch nicht - schön wäre es ja. Ein großes Publikum in einen ernsten und ernsthaften Film zu locken, bleibt schwer, das wird bei Ihnen in Deutschland nicht anders sein.

Spielt das deutsche Kino eine Rolle in Irland? Gibt es dort Filme von hier zu sehen?

Abrahamson: Es laufen schon einige Filme bei uns, "Lore" etwa, den ich aber nicht gesehen habe. Ulrich Seidl, den Regisseur von "Hundstage" und der "Paradies"-Trilogie halte ich für einen interessanten Regisseur. Aber der ist ja Österreicher, ich hoffe, das zählt auch. "Hannah Arendt" von Margarete von Trotta habe ich gemocht, aber nicht geliebt. Die frühen Filme von Werner Herzog hatten einen großen Einfluss auf mich, auch die frühen von Fassbinder.

In Ihrem jüngsten Film "Frank", der bald anläuft, haben Sie erstmals mit einem großen Star gearbeitet - Michael Fassbender. Erhöht das die Erwartungen und den Druck?

Abrahamson: Die Aufmerksamkeit ist natürlich höher, die Erwartungen vielleicht auch. Aber es bringt nichts, bei der Arbeit an so etwas zu denken.

Waren Sie überrascht, dass Fassbender die Rolle in "Frank" übernommen hat? Schließlich spielt er einen Künstler, der seinen Kopf im ganzen Film in einem großen Gummiball verbirgt.

Abrahamson: Ja, ein bisschen schon, aber nicht völlig, denn er nimmt ja immer wieder sehr ungewöhnliche Rollen an.

Wie inszeniert man denn einen Schauspieler, der einen Gummiball als Kopf hat?

Abrahamson: Selbst so bleibt für den Schauspieler noch viel, mit dem er sich ausdrücken kann - Stimme, Gestik, die ganze Körperlichkeit. Und auch wenn der Gummiball das Gesicht wegnimmt, fügt er auch etwas hinzu. Wir kennen das von Puppen und ganz schlichten Animationen - die haben eine ganz eigene Ausdruckskraft.

Sie bereiten gerade den nächsten Film vor. Woher nehmen Sie die Zeit für Kinotermine im Ausland wie jetzt in Saarbrücken?

Abrahamson: Es ist nicht ganz einfach, aber es lohnt sich immer, mit Kinogängern an verschiedenen Orten zu reden. Und ich fahre gerne Zug, da kann ich sehr gut nachdenken.

Am Montag läuft "What Richard did" ab 19 Uhr im Filmhaus (Original mit Untertiteln). Im Anschluss beantwortet Lenny Abrahamson Fragen. Der Kinoabend ist eine Veranstaltung des Lehrstuhls für Britische Literaturen und Kulturen an der Universität Saarbrücken.

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