Durchbruch im Atom-Poker

Berlin · Noch ist der historische Deal zur Finanzierung der nuklearen Altlasten nicht perfekt. Aber es gibt Chancen für eine Einigung. Der Vorschlag der Atom-Kommission soll dem Staat den Zugriff auf Milliarden sichern und für die Energie-Riesen eine feste Planungsgrundlage schaffen.

 Glücklich am Ziel: Nach monatelangem Schachern präsentierten Jürgen Trittin, Matthias Platzeck und Ole von Beust (von links) gestern den Vorschlag ihrer Kommission. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Glücklich am Ziel: Nach monatelangem Schachern präsentierten Jürgen Trittin, Matthias Platzeck und Ole von Beust (von links) gestern den Vorschlag ihrer Kommission. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Durchbruch im Milliardenpoker um die Kosten des Atomausstiegs: Die Strom-Konzerne RWE, Eon, EnBW und Vat tenfall sollen bis 2022 rund 23,342 Milliarden Euro in einen staatlichen Fonds überweisen, der die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll organisieren würde. Im Gegenzug für einen Aufschlag in Milliardenhöhe, der in dieser Summe enthalten ist, könnten sich die Unternehmen von einer Haftung bis in alle Ewigkeit "freikaufen" - dieses Risiko müssten dann die Steuerzahler tragen. Umgekehrt würde sich der Staat viel Geld für den Atomausstieg sichern, das bei möglichen Konzernpleiten verloren wäre. Das sind die Kernpunkte des Vorschlags, auf den sich eine 19-köpfige Regierungskommission nach monatelangem Ringen gestern verständigte.

Die Chefs des Gremiums, Ex-Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne), der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD ) und Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust (CDU ) sprachen von einem fairen Kompromiss für Steuerzahler und Konzerne . "Mit diesem Ergebnis kann die deutsche Gesellschaft leben", meinte Ex-SPD-Chef Platzeck. In der Kommission sind Parteien, Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbände vertreten.

Auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD ) zeigte sich zufrieden. Die Lösung entlasse die Atombetreiber nicht aus der Verantwortung, überfordere sie aber auch nicht. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU ) signalisierte, die Bundesregierung wolle das Modell für einen "Entsorgungspakt" zügig umsetzen. Ein Gesetzentwurf könnte bis zum Sommer vorliegen. Bis zum Frühjahr 2017, rechtzeitig vor der Bundestagswahl, wäre damit ein wichtiges Kapitel des Atom ausstiegs abgehakt.

Widerstand kommt allerdings von den Atom-Konzernen. Durch den Risiko-Aufschlag von 6,142 Milliarden Euro würden sie "über ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus" belastet, teilten Eon, RWE, EnBW und Vattenfall mit. Stilllegung und Abriss der Kernkraftwerke müssten sie ohnehin komplett bezahlen. Zugleich bekannten sich die Konzerne zu ihren Verpflichtungen beim Atomausstieg und betonten, sie seien weiter an einer Lösung im Konsens interessiert. In Berlin geht man davon aus, dass mit der einstimmigen Entscheidung der Kommission der Druck so groß ist, dass sich die Konzerne dem Modell nicht verweigern können.

Bei Umweltschützern gab es ein geteiltes Echo. Während der WWF lobte, der Kompromiss bewahre die Steuerzahler "vor einem Totalausfall", kritisierte Greenpeace einen "teuren Ablasshandel". Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter monierte, die Konzerne versuchten sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen.

Eindeutig fiel dagegen die Reaktion an der Börse aus: Die Aktien von Eon und RWE legten kräftig zu. Analysten verwiesen darauf, dass es nun Klarheit über finanzielle Lasten und Risiken der "großen Vier" beim Atomausstieg gebe.

Meinung:

Eine Zumutung

Von SZ-Redakteurin Monika Kühborth

Wer unbedingt höflich bleiben will, mag die bockige Reaktion der Strom-Riesen als vorsorglichen Reflex betrachten. Als Versuch, vor den anstehenden Verhandlungen noch ein paar Hürden aufzustellen. Bei Licht betrachtet ist sie allerdings nur eins: ziemlich dreist.

Die Kommission serviert den Konzernen ein Angebot zum Schnäppchenpreis. Dass die geschätzten Kosten der Beseitigung aller Atom-Altlasten allein bis zum Ende dieses Jahrhunderts höher sind als die Rücklagen der "großen Vier", ist doch jetzt schon klar. Was die Generationen schultern müssen, die nach unseren Enkeln kommen, steht ohnehin in den Sternen. Die Stromkonzerne dagegen wären komplett raus aus dem Risiko, hätten Planungssicherheit und könnten ihre Zahlungen an den Fonds auch noch steuerlich geltend machen. Das ist kein Kompromiss. Es ist eine Zumutung - für uns Steuerzahler .

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