Dürfen Firmen Kopftücher verbieten?

Luxemburg · Analyse Wegweisende Entscheidung in Luxemburg: Der Europäische Gerichtshof urteilt heute über zwei Fälle, in denen das Kopftuch Grund für eine Kündigung war.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entscheidet heute erstmals, ob ein Kopftuchverbot in Unternehmen rechtens ist. Geklagt haben zwei Musliminnen aus Belgien und Frankreich. Die Ingenieurin Asma Bougnaoui war 2009 von einer IT-Beratung in Frankreich gekündigt worden, weil sie sich weigerte, beim Kontakt mit Kunden auf ihr Kopftuch zu verzichten. Auch Samira Achbita, eine Rezeptionistin bei einer Sicherheitsfirma in Belgien, hatte darauf bestanden, bei der Arbeit Kopftuch zu tragen.

Die bisherigen Schlussfolgerungen der Justiz fielen unterschiedlich aus. Während die EU-Generalanwältin Eleanor Sharpston das Kopftuchverbot für die Ingenieurin für eine "rechtswidrige unmittelbare Diskriminierung" hält, erklärte Generalanwältin Juliane Kokott im Fall der Rezeptionistin das Verbot für zulässig.

Die Fälle unterscheiden sich in einem Punkt: In der belgischen Sicherheitsfirma, in der Achbita arbeitete, gab es für alle Beschäftigten ein Verbot von sichtbaren politischen, philosophischen und religiösen Zeichen. Das war bei Bougnaoui anders. Die EU-Gutachterin argumentiert daher, dass die Frau aufgrund ihrer Religion benachteiligt worden sei. Hätte sie sich nicht deutlich zum Islam bekannt, wäre sie nicht entlassen worden. Die Ingenieurin hätte ihre Aufgaben nach Ansicht der Anwältin auch mit Kopftuch wahrnehmen können.

Im Kündigungsschreiben des Arbeitgebers werde ausdrücklich auf die fachliche Kompetenz der Klägerin hingewiesen. Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, sei integraler Bestandteil der Religionsfreiheit, so Sharpston. Neutrale Kleidung könne vom Arbeitgeber vorgeschrieben werden, wenn sie einem bestimmten Zweck diene. Dazu könnten auch die geschäftlichen Interessen eines Arbeitgebers gehören. Sharpston zufolge ist dies im Falle eines IT-Beratungsunternehmens aber nur schwer ersichtlich.

Kokott sieht im Fall der belgischen Rezeptionistin hingegen keine "unmittelbare Diskriminierung" des religiösen Bekenntnisses, weil das Verbot auf einer allgemeinen Betriebsregelung beruhe und nicht eine oder mehrere Religionen besonders benachteilige. Generell müsse aber jeder Fall individuell bewertet werden, so die Generalanwältin. Ausschlaggebend könnten Größe und Auffälligkeit des religiösen Zeichens, die Art der Tätigkeit und der Kontext der Arbeit sein, heißt es in ihrer Schlussfolgerung.

Der Europäische Menschengerichtshof entschied 2015, dass Staatsbedienstete in Frankreich kein Kopftuch bei der Arbeit tragen dürfen. In diesem Fall war es einer Sozialarbeiterin untersagt worden. Allerdings ist die Beziehung von Religion und Staat in Frankreich anderes geregelt als in Deutschland. Staat und Kirche sind seit 1905 strikt getrennt. Die Richter bewerteten in diesem Fall die Neutralität des Staates höher als das Recht auf Religionsfreiheit.

In Deutschland gibt es in über der Hälfte der Bundesländer ein Kopftuchverbot für Lehrkräfte. Das Bundesverfassungsgericht urteilte im Januar 2015, dass ein pauschales Kopftuchverbot in Schulen nur dann gerechtfertigt sei, wenn durch das Tragen des Kopftuches eine "hinreichende konkrete Gefahr" für den Schulfrieden drohe. Für kirchliche Arbeitgeber in Deutschland gilt jedoch eine Sonderregelung. Sie dürfen das Tragen von Symbolen anderer Religionen verbieten.

Besonders für hiesige Unternehmen ist das heutige Urteil relevant - für sie könnte es leichter werden, religiöse und politische Symbole generell zu verbieten.

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